Dein Kulturreisejournal

Zwei Städte auf Menorca

Ciutadella und Mahón

von Harald Kother

„Diese Insel ist sehr flach und äußerst uninteressant, aber sie kann sich rühmen, den besten Naturhafen Europas zu besitzen.“ Das behauptete die englische Reisende H. Belsches Graham Bellingham im Jahre 1878.

Die Schönheit der Insel blieb der Dame offensichtlich verborgen, aber mit ihrem Urteil brachte sie auf den Punkt, weswegen Menorca zum Zankapfel der europäischen Großmächte wurde.

Mahon: Stadt oder befestigter Hafen?
Mahon: Stadt oder befestigter Hafen? © Harald Kother

Denn die Bucht von Mahón oder Maó, wie es in der Inselsprache Katalan heißt, bildet tatsächlich einen vorzüglichen Naturhafen. Das Meer, an der Einfahrt nur wenige hundert Meter breit, zieht sich fjordartig mehrere Kilometer ins Inselinnere hinein. Das erkannte natürlich auch die Seestreitmacht Großbritannien. Im Jahre 1708, als ganz Europa wegen des spanischen Erbfolgekriegs im Clinch lag, besetzten die Engländer kurzerhand das Eiland. Den Menorquinern kam das nicht einmal ungelegen, sympathisierten sie doch mit den Habsburgern, die von den Briten unterstützt wurden, und nicht mit dem französischen Königshof.

Für knapp ein Jahrhundert stand die Insel unter englischem Einfluss, weswegen Menorca heute als die „am wenigsten spanische“ Insel gilt. Die Engländer prägten die Kultur und die Gesellschaft, errichteten die überall sichtbaren, rot getünchten englischen Kolonialbauten, brachten den Gin mit und machten Maó zu einem der wichtigsten Militärstützpunkte des Mittelmeers. Folgerichtig wurde Maó 1722 Inselhauptstadt, obwohl sie ganz im Westen, abgewandt vom spanischen Festland liegt.

Mayonnaise: die Sauce aus Mahón
Doch nicht nur die Engländer, auch die Franzosen besetzten zwischenzeitlich die Insel. 1756 stürmten sie das mächtige Castell de Sant Felip, von dem aus man die Hafeneinfahrt kontrollieren kann. 1763 ging die Insel dann zwar wieder an die Briten zurück, doch während infolge der siebenjährigen Inselherrschaft verhalfen die Franzosen einer der Inselspezialitäten zu Weltruhm: der Mayonnaise bzw. der Mahónese.

Traditionelle Herstellung der "Mahón"-aise
Traditionelle Herstellung der „Mahón“-aise © Harald Kother

Zu den weiteren Berühmtheiten der Inselhauptstadt, die bereits vor 3.000 Jahren von den Phöniziern als Handelsstation gegründet wurde, gehört auch die Orgel der Hauptkirche Santa Maria. Dieses 1810 eingeweihte Prunkstück wird von allen Orgelspezialisten für seine Klangvielfalt, Potenz und Brillanz gelobt. Jedes Jahr findet im Juli und August ein Orgelfestival statt, zu dem Kammerorchester und Chöre aus aller Welt anreisen.

Ansonsten ist es heute wie damals der Hafen, der die Gäste in die Stadt zieht. Die vielen teuren Motoryachten und Segelboote sind unübersehbar. Doch unmittelbar neben diesen schwimmenden Luxusobjekten flicken unverdrossen Fischer ihre kaputten Netze.

Fischmarkt in Ciutadella
Auf dem kleinen Fischmarkt in Ciutadella © Matthias Pätzold

Ciutadella: südliche Lebensart pur
Während in Maó die kolonialen Einflüsse unübersehbar sind, bietet Ciutadella den ganzen Charme eines typischen Mittelmeerstädtchens. In den Gassen der Altstadt herrscht reges Gedränge. In vielen der prunkvollen Stadtpaläste haben sich Geschäfte niedergelassen. Schuhläden, Souvenirshops und Cafés wechseln sich ab. Auf dem Fischmarkt bieten die Fischersfrauen den frischen Fang ihrer Männer an. Ein paar Meter weiter verkauft ein Metzger die Inselspezialitäten Sodrasada, eine mit Paprika gewürzte Mettwurst, und die Blutwurst Cuixot.

Auf dem Markt vor dem Rathaus gibt es – neben billiger Unterwäsche und Bademode – Trikots vom FC Barcelona, manchmal auch von Real Madrid. Unten, an dem schmalen, aber langen Meeresarm, der den Hafen bildet, reiht sich ein Restaurant an das andere. Dort stehen Tische und Stühle bis auf die Straße, fast alle Plätze sind besetzt.

Quirliges Ciutadella
Quirliges Ciutadella © Harald Kother

Ciutadella ist die quirlige und lebendige Stadt, die man als Tourist von einem Urlaub am Mittelmeer erwartet, und in vielerlei Hinsicht der Gegenpol zu Maó, der Inselhauptstadt. Lange Zeit war Ciutadella selbst das bedeutendere Zentrum der Insel. Denn von hier aus kommt man am schnellsten mit dem Schiff nach Mallorca und nach Barcelona. Doch in der wechselvollen Geschichte der Insel unter Phöniziern, Römern, Arabern, Katalanen, Osmanen, Engländern, Franzosen und Spaniern wechselte die Hauptstadtrolle immer mal wieder zwischen Ciutadella und Maó. Seit dem 18. Jahrhundert ist Maó mit dem großen Naturhafen und seit dem 20. Jahrhundert auch mit dem Flughafen am Zug – sehr zum Verdruss der Bürger von Ciutadella. Manche Menorquiner sagen sogar, es sei gut, dass die beiden Städte so weit auseinander liegen – am jeweils anderen Ende der Insel.

Unsere Literaturempfehlung:
MENORCA – Der Reiseführer von Robert Zsolnay
Menorca, zweitgrößte Insel im balearischen Archipel, präsentiert sich mit seinen mehr als 80 Stränden und dem 180 km langen Küstenrundwanderweg Camí de Cavalls wohltuend ruhig und unaufgeregt.
Fast die Hälfte der Inselfläche steht unter Naturschutz, der Großteil der menorquinischen Küste ist unverbaut und eignet sich hervorragend zum Baden, aber auch für ausgedehnte Wanderungen, Mountainbike-Touren und Ausritte. Die herrlichen Strände vor türkisem und smaragdgrünem Wasser fallen meist flach ins Meer ab und sind so ideal für Kinder.
In Tapas-Bars, Cafés und Restaurants sowie in den Gassen der drei charmanten Inselstädtchen Ciutadella, Maò und Alaior lässt sich das Leben genießen. Und wer genau hinsieht, wird überall die typisch spanische Leichtigkeit und Lebensfreude bemerken – die »alegría«.
Auf 18 Wanderungen, Radtouren und Stadtspaziergängen macht der Reiseführer in einem Extrakapitel den Zauber Menorcas für aktive Reisende erlebbar.