Gedenkstätten und Schauplätze der Bürgerrechtsbewegung in den USA
von Harald Kother
Seit 2018 bietet der Civil Rights Trail quer durch die Südstaaten der USA einen Überblick über die wichtigsten Stätten des Freiheitskampfes der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung. Neben historischen Schauplätzen beeindrucken eine neue Gedenkstätte und ein kürzlich eröffnetes Museum in Montgomery, der Hauptstadt von Alabama.
Menschen in Ketten, von Schmerzen gebeugte Körper, verzweifelte Gesichter: Die Skulptur des ghanaischen Bildhauers Kwame Akoto-Bamfo ist eindeutig – und macht die Schrecken der Sklaverei offensichtlich. Es ist der erste konkrete visuelle Eindruck, den die Besucher des 2018 in Montgomery, Alabama, eröffneten National Memorial for Peace and Justice erhalten.
Dabei setzt sich diese nationale Gedenkstätte für Frieden und Gerechtigkeit gar nicht direkt mit der Sklaverei auseinander, die bis zum Ende des Bürgerkriegs 1865 in den Südstaaten der USA an der Tagesordnung war. Vielmehr geht es um den Terror und den Tod, die die schwarze Bevölkerung über Jahrzehnte nach ihrer Befreiung erleiden musste. Denn obwohl die Sklaverei mit dem Sieg des Nordens über die Südstaaten formal beendet war, dauerte die Unterdrückung an.
Besucher der Gedenkstätte werden an der Skulptur vorbeigelenkt, die nur die Vorgeschichte beschreibt, um schon bald von einem Feld aus mehr als 800 Stelen aus Corten-Stahl verschluckt zu werden. All diese Stelen sind mit dem Dach verbunden. Doch während die ersten Stelen noch fest wie Bäume im Wald im Boden verankert scheinen, ändert sich schon bald das Bild. Der Weg führt auf eine schiefe Ebene und hinunter in den eindrucksvollsten Bereich des Monuments: Die massiven und dabei rostigen Stahl-Stelen verlieren den Boden unter den Füßen. Nach ein paar Schritten hängen sie wie leblose Körper über einem.
Stelen aus Corten-Stahl, die an Gehängte erinnern
Dieser Eindruck ist Absicht. Die Gedenkstätte erinnert an die mehr als 4400 Lynchmorde, die seit der Abschaffung der Sklaverei an der farbigen Bevölkerung im Süden der USA verübt wurden. Jede der 800 Stelen steht dabei für einen Landkreis, in dem sich mindestens ein aus Rassenhass verübter Mord hat nachweisen lassen. Eingraviert sind die Namen der Opfer.
Initiator der Gedenkstätte ist die Equal Justice Initiative (EJI), also die Initiative für Gleichberechtigung, die ihren Sitz ebenfalls in Montgomery, der Hauptstadt von Alabama, hat. Hauptanliegen der EJI ist es, Häftlinge, die möglicherweise zu Unrecht verurteilt wurden oder sich keinen Anwalt leisten können, juristisch zu unterstützen. Dies gilt insbesondere für Angeklagte, die mit der Todesstrafe rechnen müssen – überproportional mehr Afroamerikaner als Weiße. Die EJI forscht daher auch zu Ursachen dieser strukturellen Ungleichheit – und erhielt in diesem Zusammenhang Kenntnis von zahlreichen rassistischen Gewaltverbrechen, die bislang nicht dokumentiert waren.
Wanda Battle, die ansonsten stimm- und wortgewaltige Gästeführerin durchschreitet die Gedenkstätte mit den Besuchern schweigend. Ihre Touren führen u.a. zum ehemaligen Wohnhaus von Dr. Martin Luther King jr., zur Kirche, wo er predigte, zur Bushaltestelle, an der sich Rosa Parks im Jahr 1955 weigerte, im Bus aufzustehen um ihren Sitzplatz für einen weißen Fahrgast freizumachen. Battle erklärt wieder und wieder die komplexe Geschichte. Doch das National Memorial for Peace and Justice spricht für sich selbst und bedarf keiner weiteren Erläuterungen.
Montgomery ist der folgerichtige Ort für diese Gedenkstätte – nicht nur weil die EJI hier ihren Sitz hat. Vielmehr ist und war die Hauptstadt Alabamas ein wichtiges Epizentrum der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung. Rosa Parks Weigerung, für einen Weißen aufzustehen, führte zum legendären Montgomery Boycott, infolge dessen die Rassentrennung in den Bussen der Stadt abgeschafft werden musste. Zudem war Montgomery das Ziel der Selma-nach-Montgomery-Märsche, bei denen die schwarze Bevölkerung ihr Recht zur Teilnahme an den allgemeinen Wahlen einforderte.
Systematische Verweigerung des Wahlrechts
Ein wesentliches Element der Unterdrückung der schwarzen Bevölkerung war bis in die Nachkriegszeit hinein die systematische Verweigerung des Wahlrechts. Möglich wurde dies durch haarsträubende Gesetze auf Ebene der einzelnen Bundesstaaten, die unüberwindbare Hürden für die in den USA notwendige Registrierung als Wähler vorschrieben. Zu diesen Hürden zählte es u.a., dass man einen Bürgen brauchte, der bereits selbst als Wähler registriert war. Anwendung fanden zudem Eignungstests, die neben Fragen zur Verfassung und zum Staatswesen der Vereinigten Staaten auch Schätzfragen beinhalteten. Beliebt war z.B. die Frage nach der Anzahl der Bonbons in einem Glas. Und da es dem zuständigen Beamten oblag, eine Schätzung als ausreichend oder nicht zu werten, war es praktisch unmöglich, diese Hürde zu überwinden.
Sunday Bloody Sunday
Um das Wahlrecht einzufordern, organisierte die Bürgerrechtsbewegung unter Mitwirkung von Martin Luther King jr. 1965 die Protestmärsche von Selma nach Montgomery. Der erste Marsch vom 7. März 1965 wurde hinter der Edmund Pettus Bridge brutal von der örtlichen Polizei mit Knüppeln und Tränengas gestoppt – und ging als „Bloody Sunday“ in die Geschichte ein. Beim zweiten Marsch nur zwei Tage später ließ Martin Luther King die Demonstranten noch vor der Brücke umkehren, um einen erneuten Gewaltexzess zu verhindern.
Diese Ereignisse und die Berichterstattung darüber setzten die Bundesregierung in Washington unter Präsident Lyndon B. Johnson so unter Druck, dass er nicht nur ein neues Wahlrecht dem Kongress zur Abstimmung vorlegte, das auch den Schwarzen die Registrierung ermöglichte, sondern auch die Armee und die Nationalgarde entsandte, um die Demonstranten auf ihrem Weg von Selma nach Montgomery zu schützen. Das neue Wahlrecht wurde kurz darauf beschlossen und am 21. März machten sich 8.000 Bürgerrechtler auf den 86 Kilometer langen Weg entlang des US-Highway 80 von Selma nach Montgomery. Vier Tage später, am 25. März, waren es schließlich 25.000 Menschen, die vor dem Parlamentsgebäude der Hauptstadt Alabamas eintrafen und sich zu einer friedlichen Kundgebung versammelten.
The Legacy – das Vermächtnis
Auch dieser Teil der Geschichte ist Thema im „The Legacy Museum“, ebenfalls von der EJI initiiert und zeitgleich mit dem National Memorial for Peace and Justice eröffnet. Der Besucher begibt sich hier auf eine Zeitreise: Nach dem Betreten der Ausstellung gelangt man in einen Zwischenraum, in dem vorne und hinten auf Bildschirmwänden in Kinogröße nichts anderes zu sehen ist als die schäumenden Wellen des Ozeans. Die überraschende Wucht dieser Bilder und das dazu eingespielte Meeresrauschen reißen den Betrachter schlagartig aus dem Alltag heraus. Die kleineren Monitore links und rechts fallen erst auf den zweiten Blick auf: Zu sehen ist eine Karte des Atlantiks, auf dem wandernde Lichtpunkte je ein Sklavenschiff auf dem Weg von Afrika nach Amerika darstellen.
Diese sich selbst erklärenden Bilder sind ein emotionaler Auftakt zur wohl umfassendsten Darstellung der brutalen und bis heute andauernden rassistischen Gewalt gegenüber den aus Afrika verschleppten Menschen und ihren Nachfahren. Der Name „Legacy“, also „Vermächtnis“ ist hierbei bewusst gewählt. Denn die Folgen dieser Ungerechtigkeit beschäftigen die Vereinigten Staaten bis heute. Das Museum spannt ganz bewusst einen weiten Bogen von der Sklaverei über die Unterdrückung im Anschluss sowie den Kampf der Bürgerrechtsbewegung bis in die Gegenwart.
„Es ist unsere Geschichte.“
Lee Sentell
Beeindruckend ist der Ausstellungsbereich, der sich der aktuellen Gefängnissituation widmet. Hier begegnet man quasi echten Inhaftierten, deren Bild einem wie in einem typischen Besuchsraum eines amerikanischen Gefängnisses gegenübersitzt. Ein Monitor zeigt das Gesicht des Häftlings – und sobald man den Hörer daneben abhebt, erzählt er oder sie seine bzw. ihre Geschichte. Die Tatsache, dass nicht alle geschilderten Delikte schwere Verbrechen sind und im Jahr 2020 in den USA Schwarze fünfmal häufiger inhaftiert waren als Weiße, lässt einen ratlos zurück – zumal die gesamte Ausstellung perfekt orchestriert ist. „The Legacy“ zählt zum Besten, was zeitgenössische Museumsgestaltung bieten kann und ist sowohl in technischer, als auch in konzeptioneller Hinsicht „state of the art“.
Die Stahlstadt – mit Blut, Schweiß und Tränen errichtet
Die strukturellen Rassenprobleme, die nach wie vor Teil des US-Alltags sind, haben zweifellos tiefe historische Wurzeln. Darauf kommt auch Stadtführer und Geschichtslehrer Barry McNealy zu sprechen, um den rasanten Aufstieg seiner Heimatstadt Birmingham zu erklären. Die heute größte Stadt Alabamas wurde erst 1871 gegründet, nachdem in der Gegend Eisenerz- und Kohlevorkommen entdeckt wurden. Um diese entscheidenden Rohstoffe für die Stahlproduktion aus dem Boden zu holen, waren Arbeitskräfte notwendig. „Aber“, so sagt es Barry, „Mitarbeiter einstellen und Löhne bezahlen war nicht die Sache der Südstaatler, die bis vor kurzem noch Sklavenhalter waren.“ Statt dessen wurden schwarze Strafgefangene herangezogen. Und damit der Nachschub an diesen billigen Arbeitskräften nicht versiegte, wurden Gesetze erlassen, die schon Lappalien unter Strafe stellten. So konnten Schwarze vorübergehend allein schon dafür verhaftet werden, wenn sie einen Weißen in bedrohlicher Art und Weise ansahen.
„Mitarbeiter einstellen und Löhne bezahlen war nicht die Sache der Südstaatler, die bis vor kurzem noch Sklavenhalter waren.“
Barry McNealy
Auf diese Art und Weise entwickelte sich Birmingham innerhalb kürzester Zeit zum industriellen Herzen der Südstaaten. Doch so dunkel die historische Grundlage für den wirtschaftlichen Aufschwung auch ist. Letztlich war es auch dieser Aufschwung, der der Bürgerrechtsbewegung Kraft gab. Denn infolge der Industrialisierung stieg der Lebensstandard bei Weißen und bei Schwarzen. Die strikte Rassentrennung wiederum bot gerade auch schwarzen Unternehmern Chancen. Der Berühmteste hierbei war A.G. Gaston: Als Minenarbeiter erkannte er Anfang der 1920er, dass die Witwen von verunglückten Kumpeln Schwierigkeiten hatten, das Geld für die Beerdigung zusammenzukratzen. Daraufhin baute er einen Selbsthilfe-Verein auf, der sich schnell zu einer kommerziell erfolgreichen Versicherungsgesellschaft entwickelte. Mit den erwirtschafteten Gewinnen gründete Gaston weitere Unternehmen – darunter das legendäre A.G. Gaston Motel. Hier übernachtete Martin Luther King jr. mehrfach. Hier trafen sich die Führer der Bürgerrechtsbewegung, um die nächsten Schritte zu besprechen. Und auch wenn Gaston jegliche Konfrontation mit dem weißen Establishment mied und regelmäßig zur Zurückhaltung aufrief, unterstützte er die Bürgerrechtsbewegung doch auf vielfältige Weise.
Das Motel befindet sich nur einen Block entfernt von der 16th Street Baptist Church. Stadtführer Barry McNealy bleibt vor der Kirche stehen – und zwar an genau jener Stelle, an der am 15. September 1963 die Bombe explodierte, die vier Mädchen im Alter von 11 bis 14 in den Tod riss, darunter eine Schulfreundin der späteren US-Außenministerin Condoleezza Rice. Der Haupttäter, ein stadtbekanntes Mitglied des Ku Klux Klan, wurde zwar schnell identifiziert. Für die Morde wurde er jedoch erst 14 Jahre später verurteilt. Als der weiße Generalstaatsanwalt von Alabama, Bill Baxley, das Verfahren 1976 wieder aufnahm, erhielt er zwar ein Drohschreiben vom Ku Klux Klan. Darin wurde er mit John F. Kennedy verglichen und als „Ehren-Nigger“ bezeichnet. Doch Baxley ließ sich davon nicht beeindrucken. Statt dessen beantwortete er den Drohbrief öffentlich mit den Worten: „Meine Antwort auf Ihr Schreiben vom 19. Februar 1976 ist – leckt mich am Arsch.“ Die Gesellschaft in den Südstaaten war inzwischen eine andere. 1983 wurde Baxley sogar zum Vize-Governor von Alabama gewählt.
Civil Rights Trail – bald Welterbe der UNESCO?
Die Bereitschaft, sich mit dem Vermächtnis der Sklaverei, den rassistischen Verbrechen und den Errungenschaften der Bürgerrechtsbewegung auseinanderzusetzen, ist in den vergangenen Jahren weiter gewachsen. Davon zeugt nicht zuletzt der Civil Rights Trail, zu dessen Stationen die Edmund-Pettus-Brücke in Selma, die 16th Street Baptist Church in Birmingham, das Legacy Museum und das National Memorial for Peace and Justice in Montgomery zählen. Dieser Trail, 2018 offiziell ins Leben gerufen, verbindet rund 130 Schlüsselorte des Freiheitskampfes miteinander, die sich in 14 Bundesstaaten sowie der Hauptstadt Washington befinden. Auch das Lorraine Motel in Memphis, wo Martin Luther King erschossen wurde, ist Teil davon.
Treibende Kraft hinter dem Trail ist Lee Sentell, Direktor des Fremdenverkehrsamtes von Alabama. Der weiße und mittlerweile weißhaarige Tourismus-Profi, der die Freundlichkeit, Seriosität und vornehme Zurückhaltung eines Elder Statesman ausstrahlt, ist ein Glücksfall für die Aufarbeitung der Geschichte der Bürgerrechtsbewegung. Er hat nicht nur den kompletten Trail über Jahre hinweg federführend konzipiert und die Tourismus-Verbände der anderen Staaten davon überzeugt, mitzumachen. Er hat auch ein Buch über die Stätten geschrieben, das weitaus mehr ist als bloß ein Reiseführer. Darin bringt Sentell Geschichte und Bedeutung der einzelnen Stätten mit knappen, gleichwohl präzisen Texten auf den Punkt, ergänzt durch eindrucks- und stimmungsvolle Bilder. Sein nächstes Etappenziel: die Aufnahme der Stätten ins Welterbe der UNESCO – ein Verfahren, das einen langen Atem erfordert, speziell in einem Land, das zwischenzeitlich unter Präsident Trump der UNESCO den Rücken gekehrt hat.
Die Frage, warum ausgerechnet ein Weißer so beharrlich an der Aufarbeitung und Überwindung der dunklen Vergangenheit im Süden der USA arbeitet, drängt sich förmlich auf. Sentell beantwortet sie knapp mit „Es ist unsere Geschichte“.
Und Geschichte ist etwas, was bei vielen US-Amerikanern nach wie vor neidvolle Blicke nach Europa auslöst.
Aktuelle Kulturreisen in die USA