Dein Kulturreisejournal

Wein und Autos in Stuttgart

Vom Mercedesmuseum zur Besenwirtschaft

von Harald Kother

Stuttgart ist natürlich auch eine Autostadt. Im Stadtteil Bad Cannstatt schraubte Gottlieb Daimler am ersten Automobil. Und nur einige hundert Meter von Daimlers legendärer Werkstatt entfernt, direkt neben dem Stammwerk in Stuttgart-Untertürkheim, hat sich der heutige Weltkonzern einen Wallfahrtsort gebaut: das Mercedes-Benz Museum.

Im Inneren des architektonischen Meisterwerks glänzen die schönsten und kuriosesten Fundstücke aus mehr als einem Jahrhundert Automobilgeschichte. Da gibt es zum Beispiel die ersten Silberpfeile zu sehen, aber auch ein fahrbares Postamt samt Telefonzelle sowie einen argentinischen Linienbus, den der Busunternehmer mit allerlei Schnickschnack verzierte, um Fahrgäste anzulocken. Wer Oldtimer und ungewöhnliche Autos mag, bekommt hier mehr als genug zu sehen. Das wichtigste Attribut aller ausgestellten Autos bleibt aber natürlich der dreigliedrige Stern.

Mercedes-Benz Museum
Das Mercedes-Benz Museum © Harald Kother

Das Automobil als Fetisch
Hinter den Eingangstüren beginnt eine Zeitreise. Schon im Fahrstuhl wird man akustisch und visuell in die Vergangenheit katapultiert: ein Projektor wirft alte Schwarzweiß-Filmszenen aus der Wand, aus Lautsprechern tönt Pferdegalopp. Die Ausstellung beginnt dann auch mit einem lebensgroßen Pferdemodell – und unterschlägt damit, dass im Jahre 1886, der Geburtsstunde des Automobils, die Welt schon von tausenden Kilometern Eisenbahn überzogen war. Generell legt das Museum den Fokus auf die Präsentation der schönsten und beeindruckendsten Kraftfahrzeuge. Die Fragen und Probleme, die die grenzenlose Mobilität aufwirft, werden höchstens angerissen. Aber da muss das Museum auch gar nicht ins Detail gehen. Das übernimmt der unübersehbare Feierabendstau auf der Schnellstraße vor den Werkstoren.

Oldtimer im Mercedes-Benz Museum
Vor allem Liebhaber von Oldtimern kommen auf ihre Kosten © Harald Kother

Porsche zieht nach
Der neue Autotempel schlug in der Benzin-Metropole Stuttgart wie eine Bombe ein. Porsche in Stuttgart-Feuerbach hat schnell nachgezogen und sein eigenes Ausstellungsgebäude 2009 eröffnet.

Während die Besuchermassen sich durch die Mercedes-Benz-Schau schieben, quälen sich die Autos zähfließend auf der erst vor wenigen Jahren neu gebauten Stadtautobahn vor dem silbern glänzenden Prachtgebäude. Die „echten“ Autos werden einige hundert Meter weiter von einem Weinberg geschluckt. Denn am Neckarhang, fast direkt hinter dem Daimler-Stammwerk, wachsen heute wie früher die Reben. Hier produzieren Winzer nach wie vor einen Jahrgang nach dem anderen. Und die dort gekelterten Weine gehören nicht zu den schlechtesten.

Weinwanderweg hinter dem Stammwerk
Am S-Bahnhof Unterkürkheim beginnt der Stuttgarter Weinwanderweg. Der Weg führt raus aus der Stadt und steil den Weinberg hinauf. Im September, kurz vor der Lese, hängen die Trauben satt und fruchtig an den Rebstöcken. Riesling, Silvaner, Kerner und der rote Trollinger wachsen hier. Die Trauben schmecken – wer hätte das bei deutschem Wein gedacht – sogar richtig süß!

Auf dem Weinwanderweg unterwegs
Auf dem Weinwanderweg unterwegs © Harald Kother

Städtisches Weingut und viele Genossenschaften
Die Stadt Stuttgart besitzt ein eigenes Weingut. Viele Weinberge werden von städtischen Mitarbeitern bewirtschaftet – oder von Winzergenossenschaften. Dann beackert jede Familie traditionell den eigenen Hang. Gekeltert und vermarktet wird aber gemeinsam, also genossenschaftlich.

Der Weinwanderweg führt in ein Nebental des Neckars, bis in den Ortsteil Uhlbach. Die Hauptstraße wird zur engen Gasse, die Häuser haben hier noch Fensterläden. Eine Hochzeitsgesellschaft versperrt den Platz vor dem mit Geranien geschmückten Rathaus aus Fachwerk. An diesem Verkehrshindernis stört sich aber niemand. Schließlich kennt man sich hier – so wie in einem Dorf aus der guten alten Zeit. Die moderne Industriemetropole scheint hier meilenweit entfernt.

Weinstube Krone in Uhlbach
In der Weinstube Krone in Uhlbach wurde der Bund der Steuerzahler gegründet. Wie passend! © Harald Kother

Hinauf auf den Württemberg
Hinter Uhlbach steigt der Weg noch einmal steil an. Zwischen die Weinterrassen mischen sich jetzt Apfel- und Zwetschgenbäume. Denn nicht jeder Hang bietet optimale Bedingungen für die Reben. Hinter den Bäumen, auf dem Gipfel des Hügels, ragt ein klassizistischer Rundbau hervor: der Württemberg mit der Grabkapelle, die 1820 bis 1824 vom Baumeister Giovanni Salucci aus Florenz errichtet wurde. In der Kapelle liegen die Gebeine der Königin Katharina Pawlowna (1788 – 1819) und ihres Gatten, des Königs Wilhelm I. von Württemberg (1781 – 1864). Dieser Ort hat für das Adelsgeschlecht der Württemberger eine herausragende Bedeutung. Denn hier befand sich einst die Stammburg der Familie. Der Berg gab dem späteren Königreich – und dem heutigen Bundesland – seinen Namen.

Grabkapelle auf dem Württemberg
Die Grabkapelle auf dem Württemberg © Harald Kother

Vom Württemberg führt der Weinwanderweg nur noch bergab. Auf halber Höhe liegt der Laden der Winzergenossenschaft Rotenberg. Hinter dem Tresen steht ein resoluter Schwabe mit Weingläsern in der Hand und fragt: „Was kann man Ihnen gutes tun?“ Mit diesen Worten beginnt unvermittelt die Weinprobe. Auf der Karte steht auch ein Gewürztraminer, trocken. Das ist ungewöhnlich, handelt es sich doch um eine typisch süßliche Rebsorte. Wer das gegenüber dem Verkäufer erwähnt, sieht sich schnell in ein philosophisches Gespräch über Wein verwickelt. Denn der Mann ist vom Fach – und stolz auf seine Reben und die der anderen Genossen. „Nicht Jedermanns Sache“, murmelt der Weinbauer und schenkt nach. Unterdessen schleppen Kunden den Wein kistenweise aus dem Laden. Das Geschäft hier oben am Berg brummt.

Wein rankt an den Hauswänden empor
Nicht wilder, sondern echter Wein rankt an den Hauswänden empor
© Harald Kother

Ein paar Meter weiter hat ein Winzer einen Reisigbesen vor sein Anwesen gestellt. Das bedeutet: Hier befindet sich eine Besenwirtschaft – und sie ist geöffnet. Nach der Weinprobe kommt eine Rast wie gerufen. Auf der Speisekarte stehen Zwiebelkuchen und Neuer Wein – der ideale Abschluss für eine Wanderung durch die Weinberge. Gut, dass direkt vor der Besenwirtschaft eine Bushaltestelle liegt.

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