Dein Kulturreisejournal

Johannistag im Baltikum

Feuer der baltischen Seele

von Matthias Ciemienga

Das Baltikum ist eine der wenigen Regionen Europas, in denen nach alter Tradition die Sommersonnenwende gefeiert wird. Am Gedenktag der Geburt Johannes des Täufers begehen Litauer, Letten und Esten mit Trachten, Tanz, Musik und gutem Essen ihren wichtigsten Feiertag.

Volksglauben und Brauchtum
Es ist vielleicht mehr als ein glücklicher Zufall, dass der Gedenktag Johannes des Täufers auf die Zeit der Sommersonnenwende fällt. Denn nicht nur dessen Geburt wird am 24. Juni gefeiert, auch der Sommer wird leidenschaftlich begrüßt. In den vorchristlichen traditionellen Religionen wurde der Tag seit jeher mit großen Festen begangen. Seit der Christianisierung Europas sind die Feiern als Johannistag bekannt.

Johannisfeuer
Sprung über das Johannisfeuer © Ratomir Wilkowski, CC BY 3.0

Viele vorchristliche Bräuche und noch mehr Volksglauben waren und sind mit dem Johannistag verbunden. Die Entzündung der Johannisfeuer in der Nacht auf den 24. Juni gehört dabei wohl zu den schönsten. Alte Volkslieder erklingen rund um die Feuer und entfachen auch Flammen in den Herzen der Feiernden. Wer besonders mutig ist, wagt einen Sprung über die Feuerstelle, der eine reinigende Wirkung und Schutz vor Krankheit verspricht.

Blumenkränze und Nackedeis
Baltische Lebensfreude und Ausgelassenheit zeigt sich am Johannistag auf verschiedene Weise. Junge Mädchen pflegen den Brauch, neun verschiedene Blumen und Kräuter zu pflücken und daraus den Johanniskranz zu flechten. Auf Köpfen, an Häusern und rund um die Johannisfeuer sind die schmuckvollen Verzierungen zu sehen. Als Erinnerung an den sorgenfreien Charakter der Feier hat sich vielerorts aber auch eine ziemlich übermütige Tradition herausgebildet – der Lauf der Nackten. Besonders in Kurland locken Läuferinnen und Läufer im Adams- und Evakostüm viele Zuschauer an.

Blumenkränze
Tradition am Johannistag: Blumenkränze © Pixelio / Karina Sturm

Tradition und Moderne
Der Feiertag bietet auch ausreichend Gelegenheit, um Folklore und Kultur zu pflegen. Neben dem unentbehrlichen Wodka werden traditionelle Speisen gereicht und Trachten und Tänze zeugen von der stolzen Geschichte der baltischen Völker. Besonders gerne feiert man in Wäldern und auf Feldern, um Verbundenheit mit Natur und Landschaft auszudrücken. In den Stadtzentren entwickelt sich seit kurzem jedoch auch eine moderne Feiertagskultur. In Riga erfreut sich ein Festival am Ufer der Düna großer Beliebtheit. Dort treten auf mehreren Bühnen populäre lettische Interpreten unterschiedlicher Musikrichtungen auf – die Nacht hindurch bis zum Morgengrauen des Johannistages präsentiert sich hier jahrhundertealte Tradition in modernem Gewand.

Obwohl die Feiern und Feuer in den Wäldern einen fast mythischen Charakter haben, liefern die stolzen Hansestädte des Baltikums eine ebenso beeindruckende Kulisse für die Feierlichkeiten. Guterhaltene mittelalterliche Stadtkerne und prachtvolle Jugendstilbauten locken hier die Besucher. Wer sich mit dem Gedanken trägt, diese architektonische und kulturelle Vielfalt zu erkunden, sollte seinen Reisetermin also mit Bedacht wählen – denn nie erstrahlt das Baltikum schöner als zur Sommersonnenwende.