Dein Kulturreisejournal

Cornwall damals wie heute

St Ives ist Kunst und Kunst ist St Ives

von Julia Kaufhold

Die beeindruckende Landschaft der englischen Grafschaft Cornwall inspiriert nicht nur Naturliebhaber, sondern auch Künstler. So ist es kein Wunder, dass sich das Hafenstädtchen St Ives zu einer der bedeutendsten Künstlerkolonien entwickelt hat. Hier haben unter anderem William Turner, Naum Gabo und Barbara Hepworth gewirkt und gearbeitet.

Blick über die Bucht von St Ives
Mediterranes Flair in St Ives © Harald Kother

In jedem Winkel des kleinen Hafenstädtchens versteckt sich eine Galerie, ein Atelier, ein Künstler oder zumindest ein Motiv. Der große William Turner war 1811 der erste, der über St Ives’ Dächer hinweg die malerische Hafenansicht skizzierte. 1883/84 verbrachte der amerikanische Maler James Whistler hier den Winter, angezogen von der motivischen Vielfalt, vor allem aber von den noch heute vielgerühmten mediterranen Lichtverhältnissen in St Ives. Die Künstler fielen nun scharenweise in das Fischerdorf ein, als Folge wurden zwei wichtige Einrichtungen gegründet, die noch heute Bestand haben: 1890 der Arts Club und 1927 die St Ives Society of Artists.

Galerie in St Ives
Galerie in St Ives © Harald Kother

Neuen, wenn nicht gar den entscheidenden Auftrieb gaben der Künstlerkolonie das Aufeinandertreffen dreier Ereignisse:

  • 1920 die Ankunft des Töpfermeisters Bernard Leach.
  • 1938 die Gründung der St Ives School of Painting durch Leonard Fuller und seiner Frau Marjorie Mostyn.
  • Bei Kriegsausbruch das Eintreffen einer einflussreichen Gruppe von Künstlern aus Hampstead bei London, darunter Ben Nicholson, Barbara Hepworth und der Russe Naum Gabo.

Es konnte nur abstrakt werden!
In dem bis dato zwar künstlerisch hochaktiven, aber doch in traditionell-gegenständlichen Darstellungsformen verhafteten Städtchen, trafen plötzlich Welten aufeinander. Britische Marinetradition, japanische Philosophie, russischer Konstruktivismus, die Kenntnis und damit der Einfluss zeitgenössischer französischer Kunst sowie die naive Malerei – Welten, die nicht etwa gegeneinander ankämpften, sondern sich gegenseitig befruchteten, gemeinsam experimentierten und Neues bildeten.

1949 gründete sich dann die Penwith Society of Artists, eine Gruppierung, die sich aufgrund wachsender Spannungen von der traditionelleren St Ives Society of Artists abgespalten hatte. Zu den Gründungsmitgliedern, allesamt Verfechter abstrakter Kunst, zählen u.a. Hepworth, Nicholson und Leach.

Maler in St Ives
Auch heute leben und arbeiten Künstler in St Ives © Charles Musselwhite, CC BY-SA 2.0

Neben New York bildete St Ives von Mitte der vierziger bis in die sechziger Jahre hinein die wichtigste Künstlerkolonie der Welt.

Barbara Hepworth (1903-1975):
gilt neben Henry Moore als bedeutendste Bildhauerin des 20. Jh. Gemeinsam mit Moore und Naum Gabo entwickelte sie das Konzept der nicht-gegenständlichen Bildhauerei: Ihre Skulpturen (Marmor, Holz und Bronze) sind den Formen der Natur nachempfunden.

Ben Nicholson (1894-1982):
Ehemann von Hepworth und stark beeinflusst von Picasso und Mondrian. Von letzterem stammt der Begriff Neoplastizismus, der auch für Nicholsons Werke bestimmend wurde, nämlich die Betonung der Senkrechten und Waagerechten und der Primärfarben Gelb, Rot und Blau.

Alfred Wallis (1855-1942):
Begann als 70-jähriger Ex-Seemann zunächst unbemerkt in seinem Cottage in Downalong mit der Malerei (Schiffsfarbe auf Holzplanken) und wurde 1928 von Nicholson entdeckt und gefördert. Jener war beeindruckt von Wallis’ stilsicheren Naivität.

St. Ives von Alfred Wallis
St. Ives von Alfred Wallis (1928) © Sailko, CC BY 3.0

Naum Gabo (1890-1977):
Russischer Bauhauslehrer und Konstruktivist, der 1939 nach St Ives kam. Einfache geometrische Formen und das Bekenntnis zur modernen Technik waren für Gabo wichtiger als dekorative Aspekte. Seine Gebilde aus Metall, Glas, Kunststoff wurden bahnbrechend für die moderne Plastik.

Bernard Leach (1887-1979):
Verbrachte 11 Jahre in Asien, um dort das Töpferhandwerk zu studieren. 1920 kam er nach St Ives und gründete mit dem japanischen Keramiker Shoiji Hamada die Leach Pottery, wo er westliche Motive mit fernöstlichen Elementen kombinierte.

Patrick Heron (1920-1999):
Kurze Zeit Schüler von Leach, arbeitete sieben Jahre lang in St Andrews Street. Sein Stil ist geprägt von einem großzügigen Umgang mit Farbe, die fast die Leinwand herunterzurinnen scheint. Das riesige Glasfenster-Mosaik im Foyer der Tate Gallery ist sein letztes großes Werk.


Tage Gallery St. Ives
Eingangs-Rotunde der Tate Gallery St Ives © Harald Kother

Tate Gallery
Der Ableger der Tate Gallery in London, wurde 1993 durch Prinz Charles höchstpersönlich eröffnet. Es wird moderne Kunst im kornischen Kontext gezeigt, die hauseigene Kollektion präsentiert alle relevanten Künstler, die in St Ives gearbeitet haben. Leider wird diese Sammlung, vor allem innerhalb der Saison, häufig ins Magazin verbannt – das allerdings zugunsten durchaus interessanter Wechselausstellungen nationaler und internationaler zeitgenössischer Kunst und Keramik. Was die Tate so anziehend macht, ist wahrscheinlich die fast magische Beziehung zwischen der eindringlichen Konstruktion ihres Gebäudes, ihrer urgewaltigen Umgebung und ihren Exponaten, die in sich selbst dieses Wechselspiel vollziehen. Die Galerie hat einen enormen Einfluss auf den Tourismus (und leider auch auf den Verkehr innerhalb des Ortes). Regelmäßig finden Kurse und Workshops, Vorträge und Musikveranstaltungen statt.
Mehr Informationen unter www.tate.org.uk/stives

Barbara Hepworth Sculpture Garden
Im Barbara Hepworth Sculpture Garden © Harald Kother

Barbara Hepworth Museum & Sculpture Garden
Atelier und Skulpturengarten von Barbara Hepworth, wo sie ab 1949 lebte und arbeitete, bis sie 1975 durch ein Feuer in ihrem Atelier ums Leben kam. Heute kann man hier ihre Skulpturen, Gemälde, Zeichnungen, aber auch private Fotografien und Briefe anschauen. Ihre Werkstätten wurden so belassen wie sie waren, herumliegende Werkzeuge, Kittel und halb bearbeitete Steine verleihen den Eindruck, Hepworth habe nur kurz das Zimmer verlassen. Eine Oase der Ruhe ist ihr Skulpturengarten (vorausgesetzt es sind nicht zu viele Besucher da), in dem Hepworth selbst die meisten ihrer Bronze-Skulpturen inmitten tropischer Pflanzen platziert hat.
Mehr Informationen unter www.tate.org.uk/whats-on/barbara-hepworth-museum-and-sculpture-garden

Dieser Text ist ein Auszug aus dem Reiseführer „Penzance und West-Cornwall“, der im goldfinch verlag Hamburg erschienen ist.

The Sloop Inn St Ives
Das leibliche Wohl gehört auch dazu: „The Sloop Inn“ St Ives © Harald Kother

Aktuelle Kulturreisen nach England:
Musikreise zu Original-Schauplätzen der Fab Four
Krimireise London und Südengland
Kunstszene London – Infinity Mirror Rooms in der Tate
Skulpturenparks- und Gärten in England

Unsere Literaturempfehlung:
PENZANCE UND WEST-CORNWALL – Der Reiseführer von Julia Kaufhold, Renate Augstein
Spektakuläre Klippenlandschaften, verlassene Buchten, einsame Strände, idyllische Fischerdörfer, exotische Gärten, ein Freilichttheater mitten in die Felsen geschlagen das ist es, was Reisende an West-Cornwall lieben! Der Küstenort Penzance gilt als (kultureller) Knotenpunkt West-Cornwalls, in dem nicht nur verkehrstechnisch alle Fäden zusammenlaufen. St Michael s Mount, das englische Pendant zum Kloster Mont-Saint-Michel in Frankreich, erhebt sich majestätisch auf einem Granitfelsen vor der Hafenkulisse Penzances aus dem Meer. Alle wichtigen Ausflugsziele West-Cornwalls sind in diesem praktisch-individuellen Pocket Guide vereint.