Dein Kulturreisejournal

Perlen im Stuttgarter Umland

Esslingen, Ludwigsburg und Marbach

von Harald Kother

Das Zentrum Stuttgarts wurde im Krieg fast vollständig zerstört. Die meisten Prachtbauten wurden zwar wieder originalgetreu aufgebaut. Der ursprüngliche Charme der schwäbischen Metropole ging trotzdem vielerorts verloren. In der unmittelbaren Nachbarschaft gibt es jedoch einige Städte und Baudenkmäler, die den Krieg ohne größere Schäden überlebt haben.

Aber nicht nur wegen einiger sehenswerter Altstädte gehört ein Ausflug ins Umland zum Pflichtprogramm eines Stuttgart-Besuchs. Allein schon die vielen grünen Oasen, die zum Teil noch auf dem Stadtgebiet liegen, bieten eine willkommene Abwechslung.

Schloss Solitude mit Park
Schloss Solitude mit Park © Bildtechnik Braendle, CC BY-SA 4.0

Eine Residenz für Künstler
Das Schloss Solitude ist seit 1990 fest in der Hand der Künste. Damals wurde die Akademie Schloss Solitude gestiftet, deren Aufgabe es ist, junge Künstler aller Fachrichtungen und Nationalitäten durch Wohnstipendien und Auftrittsmöglichkeiten zu fördern. Die Maler, Musiker, Literaten, Schauspieler und Designer leben und arbeiten nicht nur auf dem Schloss, sie präsentieren dort auch ihre Werke.

Direkte Linie zum Residenzschloss Ludwigsburg
Vom nördlichen Haupttor des 1763 bis 1767 erbauten Jagdschlosses führt eine kerzengerade Straße direkt zum Schloss Ludwigsburg, das lange Zeit der eigentliche Regierungssitz Württembergs war. Ludwigsburg entstand im frühen 18. Jahrhundert – der Blütezeit des Barock – und übertrumpft die fünf auf dem Stuttgarter Stadtgebiet liegenden Schlösser sowohl hinsichtlich der Größe, als auch in puncto Ausstattung. Dem herrschaftlichen Gebäude blieb eine profane Nachnutzung erspart. Zum Teil sind die Gemächer noch genauso eingerichtet wie zu Zeiten der Aristokratie. Heute ist das Schloss ein großes Museum mit Barockgalerie sowie Mode- und Keramikausstellungen.

Schloss Ludwigsburg
Ehemaliger Regierungssitz: Schloss Ludwigsburg © Maulaff, CC BY-SA 4.0

Zum Schloss Ludwigsburg gehört auch das „Blühende Barock“ – ein Park, der nicht nur aus bunten Blumenbeeten und geometrischen Wegen, sondern auch aus einem Märchengarten und einem höfischen Spielplatz besteht. Im Märchengarten kann man nachsehen, wo der Froschkönig wohnt, und sich ein Bild von Rapunzel machen. Hier sind über 40 bekannte Märchenszenen nachgestellt.

Schaukeln wie die Könige
Weltweit einmalig ist der historische Spielplatz: Schon die adligen Herrscher wollten ihren Spaß haben – und ließen ein Karussell und verschiedene Schaukeln konstruieren. Die größte Schaukel – immerhin 6,30 Meter hoch – wurde von Dienern in Schwung gebracht. Und fürs Drehen des Karussells waren Strafgefangene verantwortlich. Die Vorläufer der heutigen Kirmesattraktionen wurden vor einigen Jahren originalgetreu nachgebaut. Sie können benutzt werden – vorausgesetzt, das bedienende Personal steht zur Verfügung.

"Russische Schaukel" auf dem historischen Spielplatz
„Russische Schaukel“ auf dem historischen Spielplatz des Königs
© Immanuel Giel, wikimedia

Ein Klassiker: nach Marbach zu Friedrich Schiller
Nach Ludwigsburg fährt die S-Bahn vom Stuttgarter Hauptbahnhof nur eine Viertelstunde. Doch wer ein paar weitere Minuten Fahrzeit in Kauf nimmt, landet in Marbach. Hier wurde 1759 Friedrich Schiller geboren. Die Familie des großen deutschen Dichters und Dramatikers siedelte zwar schon einige Jahre später um, dennoch gibt es in Marbach mehr zu besichtigen als nur ein berühmtes Geburtshaus: Am Rande der mittelalterlichen Altstadt, direkt am Hang über dem Neckar, steht das Schiller-Nationalmuseum mit dem Deutschen Literaturarchiv Marbach. Hier findet man eine riesige Literatursammlung samt Fachbibliothek und mehr als tausend Nachlässe von Schriftstellern. Die Einrichtung gräbt regelmäßig für Wechselausstellungen Unikate aus dem riesigen Archivschatz aus – und präsentiert diese der Öffentlichkeit.

Schiller-Nationalmuseum mit dem Deutschen Literaturarchiv
In Marbach steht das Schiller-Nationalmuseum mit dem Deutschen Literaturarchiv
© sarang, wikimedia

Freie Reichsstadt Esslingen
Wie ganz Deutschland war auch die Region um Stuttgart noch vor wenigen hundert Jahren ein politischer Flickenteppich: Nur wenige Kilometer flussaufwärts im Neckartal begann das „Ausland“. Die erste Grenze musste man schon kurz vor Esslingen passieren – heute zwölf Bahnminuten vom Hauptbahnhof entfernt. Esslingen war bis 1802 freie Reichsstadt – und unterstand keinem Herzog oder König, sondern direkt dem Kaiser des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation.

Rathaus in Esslingen
Blick zum Rathaus in Esslingen © R.kaelcke, CC BY-SA 3.0 de

Dieses Privileg machte die Stadt reich, was man an den herrschaftlich verzierten Fachwerk- und Bürgerhäusern sehen kann. Ein besonderer Schatz ist das Alte Rathaus mit dem Glockenspiel, das 200 Lieder spielen kann. In der verwinkelten Innenstadt wurden sogar einige Kanäle überbaut. Esslingen gehört damit zu den wenigen Städten weltweit mit einer bebauten Brücke.

Einmalig ist auch die Stadtmauer, die sich den Hang emporschiebt und einen Weinberg mit einschließt. Offensichtlich wollte man im Mittelalter auf Nummer sicher gehen – und im Zweifelsfall den guten Tropfen nicht einfach kampflos den benachbarten Württembergern überlassen.

Burg und Stadtmauer Esslingen
Beim „Dicken Turm“ umschließt die Stadtmauer Esslingens einen Weinberg
© Harald Kother

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