Dein Kulturreisejournal

Charakterstärke von den Inseln

Eine Reise zu Whisky-Destillen auf den schottischen Hebriden

von Harald Kother

Manchmal rau, für Neulinge oft gewöhnungsbedürftig – und dann doch ein Genuss: Wer in den Charme und Charakter der Hebrideninseln im Nordwesten Schottlands voll und ganz eintauchen möchte, kommt nicht am Single Malt Whisky vorbei. In dem edlen Getränk ruht die Seele des Landes und der Charakter der Landschaft.

Kräftiger Spirit vor rauer Kulisse
Kräftiger Spirit vor rauer Kulisse © Diageo

Schummerlicht verleiht den Eichenfässern einen silbergrauen Glanz. In zwei Reihen übereinandergestapelt füllen sie das Lagerhaus aus. Eine angenehm-würzige Süße liegt in der Luft – und legt sich zwangsläufig auf den Gaumen. Der Geschmack verrät, was sich in den Fässern befindet. Hier reift einer der begehrtesten Tropfen der schottischen Hebrideninseln: der Talisker Single Malt Whisky.

Weltpremiere nach 34 Jahren
Normalerweise hat niemand Zugang zum Lager der Distillery. Doch heute hat Mark Lochhead, der Distillery Manager, einen sehr guten Grund für eine Ausnahme: Er präsentiert erstmalig eine 1975 abgefüllte, in einem einzelnen Bourbon-Fass gereifte Sonderedition. Von diesem 34-jährigen Talisker wird es nur 250 einzeln nummerierte Flaschen geben, Verkaufspreis ca. 1100 Euro. Zwar sagt Lochhead, während er den edlen Tropfen in die Gläser gießt: „Das ist eine Weltpremiere.“ Doch die Worte kommen dem Manager fast beiläufig über die Lippen.

Große Worte braucht der Manager auch gar nicht. Denn der Whisky spricht für sich. Der 34-Jährige wirkt noch runder und voller als die „gewöhnlichen“, 10 und 18 Jahre im Fass gereiften Abfüllungen – und kein bisschen zu alt, auch während des langanhaltenden, torfig-rauchigen Abgangs. Vielmehr legen sich weitere Geschmacks- und Geruchsnuancen über den typischen Talisker-Charakter: Für einen Augenblick scheint es fast so, als würde man das lagernde Holz der Eiche riechen, aus dem das Fass gefertigt war – zusätzlich zum bekannten fruchtig-malzigen, an Heidehonig erinnernden Aroma, sowie der pfeffrigen Talisker-Note, die sich auf der Zunge ausbreitet.

Lagavullin: das Lagerhaus
Ausrangierte Fässer vor den „heiligen Hallen“ in Lagavullin: das Lagerhaus
© Harald Kother

Während die Aromen in Nase und Gaumen einen regelrechten Wirbelsturm auslösen, ziehen Wolken über die Insel Skye hinweg. Regen prasselt auf das Lagerhaus. Nebelfetzen setzen sich im Cuillin fest, dem Bergmassiv hinter der Talisker Distillery, das knapp 1000 Meter aus dem Meer herausragt. Mark Lochhead strahlt angesichts dieses gespenstisch anmutenden Landschaftsbilds und sagt: „Kein Regen, kein Whisky!“ Auf die verdutzten Blicke der Mitteleuropäer fügt er hinzu: „Vor ein paar Wochen hatten wir eine ungewöhnliche Trockenperiode. Da ist uns das Wasser für die Kühlung ausgegangen und wir mussten die Produktion vorübergehend einstellen.“

Charakterstarke Landschaft
Wer die schottischen Whisky-Destillerien besichtigen will, sollte daher nicht nur Regenzeug im Gepäck haben, sondern auch Sonnencreme. Denn das einzige, was man mit Gewissheit über das Wetter hier sagen kann, ist: Es kann sich ständig ändern. Vorhersagen haben nur eine kurze Gültigkeit. Gerade dieser ständige Wechsel ist es, der der Landschaft ihren besonderen Reiz verleiht. Noch eben graue, von Nebelschwaden verschleierte Bergkuppen erstrahlen im sattesten Grün, wenn die Wolkendecke aufreißt. Kommt Wind auf, verwandeln sich Meeresausläufer – eben noch still und beschaulich – in abenteuerlich schäumende Hexenkessel. Und die Gipfel des Cuillin, die im grauen Schleier des Wolkenspiels zunächst wie sanfte Hügel anmuten, offenbaren bei blauem Himmel ihre bizarren, nach oben hin immer spitzer zulaufenden Formen.

So unterschiedlich das Landschaftsbild je nach Wetterlage, so unterschiedlich ist auch der Charakter der einzelnen Hebriden. Während Skye von Gebirgszügen geprägt ist, dominiert auf der südlicher gelegenen, berühmten Whisky-Insel Islay eine flache und grasbedeckte Landschaft. Unter den satten und sanft geschwungenen Weiden – von zahllosen Schafen und zotteligen Hochlandrindern bevölkert – liegt einer der größten Schätze der Insel: Torf. Torf zählt zu den elementaren Ausgangsprodukten für einige der charakterstärksten Whiskys.

Torfstechen für den Whisky
Iain MacArthur von der Lagavulin Distillery stößt mit einem mannsgroßen Stecheisen in die braune Masse hinein. Mit der Konsistenz des gestochenen Torfs ist er jedoch nicht zufrieden: „Viel zu wenig Fasern! Viel zu ölig! Das können Sie nur zum Heizen benutzen.“ Ein paar Meter weiter wird der kauzige Mitarbeiter dann aber fündig. „Sehen Sie die Fasern? Das ist das, was wir für den Whisky brauchen.“ Denn je faseriger der Torf, desto mehr Rauch entsteht beim Verbrennen. Schließlich wird in Schottland für die Whisky-Herstellung das Gerstenmalz nicht nur mit heißer Luft, sondern auch mit Rauch gedarrt – also getrocknet. Das Malz nimmt dabei das Raucharoma an. Und das ist beim Endprodukt aus Lagavulin besonders intensiv.

Iain MacArthur von Lagavulin
Iain MacArthur von Lagavulin erklärt, worauf es beim Torf ankommt
© Harald Kother

Neben den Ausgangsstoffen Wasser, Malz und Rauch entscheiden auch Besonderheiten während des Brau- und Destilliervorgangs über den ganz speziellen Charakter jedes einzelnen Single Malt. So erklärt Talisker-Manager Lochhead: „Bei uns bleibt die Maische 24 Stunden länger im Gärtank, als die Fermentation eigentlich dauern würde. Die Hefe erzeugt so einen besonderen Geschmack.“

Bauchige Formen, Pflege der Dellen
Auch die sich anschließende Destillation hat großen Einfluss auf den Geschmack. Von Distillery zu Distillery unterscheidet sich daher die Form der Brennblasen erheblich. Mal sind die mehrere Meter hohen Anlagen aus Kupfer bauchig geformt, mal laufen sie spitz zu. Denn je nach Form setzen sich Aromen, Alkohole und Dampftropfen unterschiedlich ab. Selbst uralte Dellen im Kupferblech werden gepflegt – und bei Reparaturen originalgetreu nachgebaut. Zu groß ist das Risiko, dass mit der Delle ein Teil des Charakters des Whisky verloren gehen könnte.

 Brennblasen
Die Form der Brennblasen hat großen Einfluss auf den Geschmack © Harald Kother

Der beim Destillieren gewonnene Feinbrand mit etwa 70 Prozent Alkoholgehalt darf jedoch noch nicht als Whisky bezeichnet werden. Dazu muss er noch mindestens drei Jahre im Fass reifen. Dabei verdunstet ein Teil des Alkohols. Der Whisky wird weicher und bekömmlicher. Gleichzeitig geben die Fässer, die zuvor mit Bourbon oder Sherry befüllt waren, Geschmack ab. Erst jetzt erhält das Getränk seine goldgelbe Farbe. Welchen Einfluss die Dauer der Fassreifung auf das Endprodukt hat, demonstriert Iain MacArthur im Lagavulin-Lagerhaus ganz praktisch: Er entnimmt mehreren Fässern mit unterschiedlichem Abfülldatum eine Probe und stellt den frischen Feinbrand daneben. Keine Frage: Je länger das Getränk gelagert wurde, desto charakterstärker wird es. Denn nicht zuletzt braucht es viel Ruhe und Zeit, um einen Spitzenwhisky herzustellen. Von all dem haben die Bewohner der Hebrideninseln eine ganze Menge.

Unsere Literaturempfehlung:
SCHOTTLAND – Der Reiseführer von Andreas Neumeier
Männer in Kilts, Klänge aus dem Dudelsack und natürlich Nessie, das liebenswerte, aber äußerst kontaktscheue Seeungeheuer – das gängige Schottland-Klischee lässt sich etwa auf diese Formel bringen. Wer mehr wissen will, ist mit dem mittlerweile in achter Auflage vorliegenden Buch von Andreas Neumeier bestens bedient.
Von den einsamen Stränden im Südwesten über die Highlands mit dem Touristenmagneten Loch Ness bis hin zu den Orkney- und Shetland-Inseln im äußersten Norden begleitet der Autor den Urlauber auf einer abwechslungsreichen Tour durch ein Land, dessen Reize insbesondere Individualtouristen schon lange begeistern. Die landschaftliche Vielfalt ist beeindruckend, das kulturelle Erbe reich, und es gibt so viel Unterschiedliches zu entdecken, dass man fast zwangsläufig zum »Wiederholungstäter« werden muss.
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