Dein Kulturreisejournal

Auf den Spuren von Ernst Barlach

Ein Künstler prägt Güstrow

von Duygu Yilmaz

Ob nun wegen den Stilelementen der Romanik, aus der Backsteingotik oder des Klassizismus – Die Barlachstadt Güstrow blüht förmlich in ihrem historischen Charme und zählt zudem zu einer der schönsten Städte im Herzen Mecklenburgs. Vielleicht war sie deswegen Residenzstadt von verschiedenen Fürsten und Herzögen. Auch Ernst Barlach hat maßgeblich mit seinen bildhauerischen Werken zum kulturellem Reichtum der Stadt beigetragen.

„Für mich hat während des Krieges die Zeit stillgestanden. Sie war in nichts anderes Irdisches einfügbar. Sie schwebte. Von diesem Gefühl wollte ich in dieser im Leeren schwebenden Schicksalsgestalt etwas wiedergeben.“

Ernst Barlach
Der Schwebende von Ernst Barlach
Der Schwebende von Ernst Barlach © Harald Kother

Wenn man vor dem „Schwebenden“ steht und einem diese Worte von Ernst Barlach durch den Kopf gehen, wird es einem gleich ganz anders. Wie ein Engel schwebt die bronzene Skulptur über dem schmiedeeisernen Taufgitter und erinnert an die dunkle Zeit des Ersten Weltkrieges. Mit seinen geschlossenen Augen, heruntergezogenen Mundwinkeln und sich selbst umfassenden Armen weckt der „Schwebende“ Erinnerungen an die gefallenen Soldaten.
Erst 1953 ist die Skulptur, die bereits 1927 entstand, wieder im Dom angebracht worden. Nationalsozialisten entfernten sie nämlich im Jahre 1937 und schmolzen sie ironischerweise zu Kriegszwecken ein, da sie die Werke von Ernst Barlach als entartet ansahen. Sie zerstörten und beschädigten auch viele andere Werke des Künstlers.
Der „Schwebende“ gehört zu den bekanntesten Werken, die vom Bildhauer, Schriftsteller und Zeichner Ernst Barlach geschaffen wurden. Geboren wurde er am 02. Januar 1870 in Wedel, gelebt und gewirkt hat er allerdings von 1910 bis zu seinem Tod im Jahre 1938 in Güstrow, wo auch seine wichtigsten Werke entstanden.
Das vielleicht berühmteste Werk – der Schwebende – befindet sich im Güstrower Dom, einem typischen Beispiel der Backsteingotik. Der Dom ist das älteste Bauwerk der Barlachstadt und enthält wahrscheinlich gerade deswegen deutliche Überreste der romanischen Architektur. Durch die grenzenden Bürgerbauten und das ehemalige Hofgericht von Wallenstein wird zusätzlich ein mittelalterliches Flair geschaffen.

Güstrower Dom
Langschiff vom Güstrower Dom © IBK

Jedoch war der Dom nicht immer in Benutzung: Nach der Domweihe im Jahre 1335 wurde der katholische Domstift 1552 aufgehoben und anschließend für 12 Jahre als Wagenscheuer benutzt. 1568 wurde er evangelische Hofkirche und Grablege für das Güstrower Fürstenhaus bis 1695.

Pfarrkirche St. Marien
Pfarrkirche St. Marien © IBK

Doch nicht nur im Dom, sondern auch in weiteren Kirchenbauten sind Spuren und Werke von Barlach zu finden: Besonders beeindruckend ist der „Der Engel der Hoffnung“, ein im Jahre 1933 erschaffenes Terrakottarelief in der Pfarrkirche St. Marien. Es befindet sich an einem Pfeiler im südlichen Mittelschiff und schmückt zusammen mit der Triumphkreuzgruppe, dem Flügelaltar und der Kanzel die Kirche. Bürger und Handwerker bestückten ihre Kirche mit diesen Schmuckstücken nach einem heftigen Stadtbrand im Jahre 1503.
Die Orgel samt Orgelempore hat der Rostocker Orgelbaumeister Paul Schmidt im barocken Stil in die Kirche im Jahre 1764 hineingebaut. Der Gegensatz zur Bildsprache Barlachs ist hier besonders offensichtlich. Heinrich Mann sagte 1938 über den Künstler:

„Er hat Bühnen- und Bildwerke geschaffen, alle ausgezeichnet durch eine höhere Schlichtheit; nur der geprüfte, umgetriebene Geist erlangt sie zuletzt. Erdgebunden war niemand weniger als dieser Künstler, der dennoch gelernt hatte, die stummen Wesen um ihn her redend zu machen und den Unbewußten ihre innigste Gestalt zu geben.“

Heinrich Mann

Dieses Zitat beschreibt den Künstler in seiner elementarsten Form. Die Werke Barlachs sind schlicht und gleichzeitig extrem geprägt von psychischer Ausdruckskraft. Die Darstellungen spiegeln die harte und doch reale Gefühlswelt des Menschen wieder. „Kunst ist eine Sache allertiefster Menschlichkeit“, wie der Künstler selbst im Jahre 1918 sagte.

Markante Gesichtszüge, zerstreute Haare, ein trostloser Blick und Falten auf der Stirn – so zeichnete sich der Künstler selbst. Das Selbstbildnis von Ernst Barlach verherrlicht oder beschönigt nicht. im Gegenteil: es zeigt die kalte und doch wahre Seite des Lebens, die gerade in Kriegszeiten an der Tagesordnung stand. Darüber hinaus erscheinen bestimmte Gesichtszüge sogar übertrieben und extrem dargestellt zu sein: Die großen schwarzen Augen und die Tränensäcke in fast schon überdimensionaler Größe drücken Schmerz, Trauer und Müdigkeit aus. Eine Gefühlsebene die schnell auf den Betrachter des Bildes übergreift.
Ob das Portrait ein realistisches Bild des Künstlers zeigt – oder doch eher eine expressionistische Zuspitzung, bleibt dem Betrachter überlassen. Barlach war Zeit seines Lebens ein Grenzgänger zwischen Expressionismus und Realismus.

Selbstbildnis Ernst Barlach
Selbstbildnis Ernst Barlach, 1928 © wikimedia

Einen besonders umfassenden Einblick in Leben und Werk des Künstlers bietet das Atelierhaus am Inselsee. In den zwanziger Jahren erbaute Ernst Barlach die Werkstatt mit Wohnung und lebte bis zu seinem Tod darin. Ursprünglich benötigte er die Werkstatt, um seinen damals sehr gefragten bildhauerischen Werken einen Platz zu geben. Die Umstände änderten sich allerdings mit der Machtergreifung der Nazis – die großen Aufträge blieben aus. Seit 1978 ist das Atelierhaus nun als Gedenkstätte zugänglich und beinhaltet rund 300 Plastiken, 110 Handzeichnungen, 430 druckgraphische Werke, Skizzenbücher und persönliche Dokumente. Besonders bekannt sind hier die Holzskulpturen der „Träumer“ von 1925 oder Die „Lachende Alte“ und die „Frierende Alte“ (1937).

In Barlachs Atelier
In Barlachs Atelier © IBK

Ein weiterer Höhepunkt ist die Gertrudenkapelle. Hier werden Holzskulpturen und weitere bildhauerische Werke von Barlach ausgestellt. Die Kapelle aus der Epoche der Spätgotik ist ein einschiffiges Bauwerk aus Backstein des 15. Jahrhunderts. Allerdings ist sie erst nach ihrer Restaurierung im Jahre 1953 als Gedenkstätte für Ernst Barlach errichtet worden. Vorher nutzten die Nationalsozialisten das Bauwerk für ihre Zwecke. Die Gertrudenkapelle zählt zu den ältesten Fachwerkkirchen des Mittelalters in Mecklenburg-Vorpommern.
Barlach hat ein vielseitiges druckgraphisches, zeichnerisches und literarisches Werk hinterlassen. Es umfasst mehr als 2000 Zeichnungen, 450 Plastiken, 100 Skizzenbücher, Lithographien und Holzschnitte. Die im Jahre 1994 gegründete Ernst-Barlach-Stiftung bewahrt die umfangreichste Sammlung seines Werkes.

Aber auch sonst gibt es in Güstrow viel sehenswertes: Das Renaissanceschloss ist eines der markantesten Bauwerke der Stadt. Erbaut wurde es für die Mecklenburger Herzöge im 16. Jahrhundert und zählt bis heute zu den bedeutendsten Renaissancebauten im norddeutschen Raum. Die Stuckdecke im Festsaal, die prachtvoll dekorierte Hofstuben oder der wunderschöne rekonstruierte Renaissance-Garten zaubern noch heute majestätisches Gefühl.

Auch die mittelalterliche Stadtstruktur hat sich bis in die Gegenwart erhalten. Heute ist die Stadt Güstrow Kreisstadt des Landkreises Rostock, und hat rund 30.000 Einwohner. Seit dem 23. März 2006 führt sie offiziell den Namenszusatz „Barlachstadt“.

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