Tequila für die Toten
von Friederike Reth
Die Mexikaner betrauern den Tod nicht, sie machen ihn sich zu eigen. Dies wird alljährlich Anfang November deutlich, wenn der „Dia de los Muertos“ gefeiert wird. Die Straßen sind in diesen Tagen üppig dekoriert, es wird ein Aufwand betrieben wie in Europa höchstens zur Weihnachtszeit. Blumengirlanden verzieren die Straßen, bunte Skelette und andere Totensymbole hängen von Wänden und Balkonen. Schaufenster sind reich geschmückt, Bäckereien quellen über vor Perlen geschmückten Zuckergusstotenschädeln.
„Der Mexikaner sucht, streichelt, foppt, feiert den Tod, schläft mit ihm. Vielleicht quält ihn ebenso die Angst vor ihm wie die Anderen, aber er versteckt sich nicht vor ihm noch verheimlicht er ihn, sondern sieht ihm mit Geduld, Verachtung oder Ironie frei ins Gesicht.“
Octavio Paz
Die Mexikaner feiern trotz oder gerade wegen des Todes. Der Tod ist ein Teil des täglichen Lebens. Man feiert das Leben, das man noch hat, und das Leben, das die Verstorbenen hatten. Man feiert die Verstorbenen und man feiert mit ihnen, denn sie kommen zurück. Alljährlich am ersten und zweiten November. Ein Blumenteppich aus orangefarbenen und gelben Ringelblumen weist ihnen den Weg vom Friedhof bis zu ihrem Altar in der Wohnung. Der Altar bzw. Gabentisch, auch „Ofrenda“ genannt, ist prächtig geschmückt. Fotos erinnern an die Verstorbenen, sie bekommen Wasser zur Erfrischung, Zigaretten und Schnaps, reichlich Essen, Salz und Brot.
In der Nacht auf den ersten November kommen die verstorbenen Kinder nach Hause, in der Nacht auf den zweiten November die verstorbenen Erwachsenen. Sie bleiben bis Mitternacht, dann müssen sie wieder zurück in ihr Reich – ins Totenreich. Die Familie begleitet sie noch bis zum Friedhof und feiert dort weiter. Feiert das Leben und den Tod. Sie essen mitgebrachte Speisen, trinken Tequila, rauchen, reden, gedenken. Gedenken dem Leben und der Freude, die sie mit den Verstorbenen hatten, feiern weiter ihr Familienfest mit der gesamten Familie, der lebenden und der toten.
Makaber und unangebracht mag es auf viele Europäer wirken, ist es doch so völlig entgegen europäischer Traditionen. Totenruhe verträgt sich nur schwer mit Tequila. In Mexiko ruhen die Toten aber nicht. Hier sind sie Teil des Lebens, Teil der Kultur.
Der Glaube und die Tradition des „Dia de los Muertos“ entstammt dem Glauben der alten Azteken. Sie waren davon überzeugt, dass die Toten einmal im Jahr, zum Ende der Erntezeit zurückkehrten zu ihren Familien, um mit ihnen zu feiern, zu tanzen, zu essen und um die gesamte Familie wieder zu sehen. Als die Spanier nach Mexiko kamen, stellten sie fest, dass sich ihre Traditionen, ihr christlicher Glaube an ein Leben nach dem Tod nicht allzu sehr vom Glauben der Azteken unterschied. Sie vermischten die beiden Traditionen, brachten Elemente beider Feierrituale zusammen. Das Datum verschoben sie vom Ende der mexikanischen Erntezeit im Juli / August auf Allerheiligen und Allerseelen Anfang November.
„Der Kult des Todes ist, wenn er tiefgründig und vollkommen ist, auch ein Kult des Lebens. Beide sind untrennbar. Eine Kultur, die den Tod verleugnet, verleugnet auch das Leben.“
Octavio Paz