Dein Kulturreisejournal

Marrakesch – Perle des Südens

Zwischen „Tausendundeiner Nacht“ und Moderne

von Anika Batschi

„Rote Stadt“ oder „Perle des Südens“ wird Marrakesch auch genannt. Die pulsierende Metropole am Fuße des Hohen Atlas besticht durch orientalischen Charme. Von der weltberühmten Altstadt mit ihrem Gassengewirr und den traditionellen Märkten bis hin zu eindrucksvoller Architektur und grünen Oasengärten zeigen sich die vielen Facetten der Königsstadt.

Schlangenbeschwörer
Djemaa el-Fna: Schlangenbeschwörer © Hans Peter Schaefer, CC BY-SA 3.0

Mitte des 11. Jahrhunderts gründeten die Almoraviden die Stadt im Südwesten Marokkos. Von dort aus konnte die ursprünglich mauretanische Berberdynastie die Nord-Süd-Verbindungen über das Atlasgebirge kontrollieren. Der Herrscher Ali Ben Youssef machte den Ort zur Hauptstadt seines eroberten Reiches, das sich bis auf die Iberische Halbinsel erstreckte. Marrakesch wurde zum Namensgeber des Landes: Die damalige Hauptstadt betitelte man schlicht mit „Mraksch“, dem arabischen Wort für „Stadt“. Im Französischen und Spanischen wandelte sich dieser Ausdruck zu „Maroc“ bzw. „Marruecos“ und bezeichnete schließlich das gesamte Land.

Bewegte Geschichte
In der Folgezeit erlebte die Stadt immer wieder Kämpfe um Vorherrschaft und Machtverhältnisse zwischen verschiedenen Dynastien. Im 12. Jahrhundert eroberten die Almohaden die Führungsposition und zerstörten die gesamte Stadt. Sie errichteten neue Bauwerke wie die Koutoubia-Moschee im maurischen Stil, die mit ihrem weithin sichtbaren Minarett die Skyline Marrakeschs bis heute wesentlich prägt. Zu dieser Zeit wurden auch die mächtigen roten Stadtmauern aus Ton und Kalk gebaut, die Marrakesch zusammen mit den vielen Häusern dieser Farbe den Namen „rote Stadt“ einbrachten.

Unter den Saadiern ab dem 16. Jahrhundert entstanden weitere wichtige Bauten wie der El-Badi-Palast. Davon sind inzwischen zwar nur noch Überreste vorhanden, doch selbst die lassen die Dimension der ehemals mächtigen Anlage noch erahnen. Die nachfolgende Alaouiten-Dynastie regiert das Land noch immer. Ende des 19. Jahrhunderts wurde unter ihnen beispielsweise der prunkvolle Bahia-Palast gebaut. Die Ville Nouvelle, Marrakeschs Neustadt, entstand erst im 20. Jahrhundert, als die Franzosen Südmarokko besetzten und ein Protektorat gründeten. Zu dieser Zeit herrschte der berüchtigte Pascha Thami El Glaoui über die Stadt und weite Teile des Landes. Um seine Macht zu vergrößern, hatte er sich mit Frankreich verbündet.

Süßwarenhändler in den Souks
Süßwarenhändler in den Souks © Wikimedia / La Chimère, CC BY-SA 4.0

Das Herz von Marrakesch
Charakteristisch und weltbekannt ist die Medina von Marrakesch, die Altstadt. Aufgrund der vielen architektonisch bedeutsamen Gebäude wurde sie 1985 als Weltkulturerbe der Unesco anerkannt. Viele kleine Geschäfte und Werkstätten befinden sich in den verwinkelten Gassen. Vor allem in den Souks geht es laut und quirlig zu. Die Marktstände und –hallen bieten von Lebensmitteln über Kleidung und Haushaltswaren bis zu traditionellem Kunsthandwerk alles Erdenkliche. Man feilscht um Teppiche, frisch gefärbte Wolle, gegerbte Tierhäute, Schmuck, Argan-Öl, Gewürze und Kräutermischungen oder auch handgefertigte Laternen.

Djemaa el-Fna am Abend
Der Djemaa el-Fna am Abend © Wikimedia, Boris Macek, CC BY-SA 3.0

Nicht minder rege ist der tägliche Betrieb auf dem angrenzenden Djemaa el-Fna, der ebenfalls zum Erbe der Unesco zählt. Im Mittelalter wurden auf dem ehemaligen Gerichtsplatz die Häupter der Hingerichteten zur Schau gestellt. Heute dient der Platz Gauklern, Musikern, Geschichtenerzählern, Akrobaten, Schlangenbeschwörern und Wahrsagern als riesige Bühne. Insbesondere an den Wochenendabenden entwickelt sich hier ein regelrechtes Freilufttheater, das Marokkaner und Besucher gleichermaßen schätzen. Mit Einbruch der Dunkelheit werden zahlreiche Garküchen aufgebaut und die verschiedensten Gerüche ziehen über das Spektakel hinweg.

Orientalischer Prachtpalast
In der Nähe des jüdischen Viertels von Marrakesch, der Mellah, erhebt sich der Palais de la Bahia. Der Großwesir Si Moussa und sein Sohn Bou Ahmed ließen diesen prachtvollen Palast Ende des 19. Jahrhunderts errichten. Das Bauwerk im maurisch-andalusischen Stil gilt als das am besten erhaltene Marokkos in dieser Größe. Die Anlage, bestehend aus zwei Trakten mit unzähligen Wohnräumen, Innenhöfen und Gärten, stellt ein architektonisches Meisterwerk dar. Die verschachtelte, für Besucher ziemlich unübersichtliche Anordnung der Räumlichkeiten ist auf das Anliegen der Auftraggeber zurückzuführen, dass sich ihre Ehefrauen und Konkubinen sowie deren Kinder – die alle hier untergebracht waren – möglichst nicht begegnen sollten.

Innenhof mit Brunnen im Bahia-Palast
Innenhof mit Brunnen im Bahia-Palast © Wikimedia / Stolbovsky, CC BY-SA 4.0

„La Bahia“ kann mit „die Glanzvolle“ übersetzt werden und soll sich auf die bevorzugte Geliebte des Großwesirs beziehen. Die vielen Empfangshallen und Gemächer waren ehemals luxuriös ausgestattet. Auch wenn die wertvolle Einrichtung nur noch teilweise vorhanden ist, erwecken die Verzierungen an Decken und Böden sowie die Gestaltung der Innenhöfe ein eindrucksvolles Bild der Verhältnisse, in denen die Bewohner hier lebten: Arabesken und Mosaiken, mächtige Säulen, geschnitzte Decken aus Zedernholz und weiße Marmorfliesen schmücken die repräsentativen Räume. In den Gärten wachsen neben Orangenbäumen auch Zypressen und Jasminsträucher. Der Bahia-Palast war nach dem Tod der beiden Großwesire auch zeitweilig die Residenz von Sultanen, Pascha El Glaoui und der französischen Kolonialverwaltung.

Die Medersa Ben Youssef
Ein weiteres beeindruckendes Werk der orientalischen Baukunst ist die Medersa Ben Youssef in der Medina. In der einst größten islamischen Theologieschule des Maghreb herrschte noch bis 1960 Betrieb. Bis zu 900 Koranschüler wurden hier unterrichtet. Bereits im 14. Jahrhundert soll der Herrscher Abou el Hassan die Medersa gegründet haben, ihr heutiges Aussehen erhielt sie allerdings erst rund 200 Jahre später beim Ausbau durch den Saadier-Sultan Abdallah Al-Ghalib. Dieses sakrale Gebäude ist ebenfalls üppig mit Schnitzereien und Fayence-Mosaiken verziert. Der Innenhof mit hohen Säulen und Torbögen verfügt über ein dekorativ angelegtes Wasserbecken.

Medersa Ben Youssef
Medersa Ben Youssef © Yastay, CC BY-SA 4.0

Gartenkunst und Jugendstil
Einen Gegensatz zur hektischen Medina bilden die großen Gärten und Parkanlagen in Marrakesch, die als grüne Oasen der Stadt mitten in der trockenen Region erblühen. Die Agdal-Gärten zählen gemeinsam mit dem Menara-Garten ebenso wie die Altstadt zum Unesco-Welterbe. Beide Anlagen wurden bereits im 12. Jahrhundert von den Almohaden um zentrale Wasserbecken herum erschaffen. Hier wachsen bis heute Orangen-, Oliven- und Ölbäume. Besonders sehenswert ist der Jardin Majorelle in Marrakeschs Neustadt. Der ehemalige Garten des französischen Künstlers Jacques Majorelle, der hier bis zu seinem Tod 1962 lebte, zeichnet sich durch eine botanische Vielfalt aus, die man an einem solchen Ort nicht erwartet.

Jardin Majorelle mit Villa
Jardin Majorelle mit Villa © Wikimedia / Arnaud 25, CC BY-SA 3.0

Auf seinen Reisen sammelte der Maler Pflanzen in aller Welt, um sie hier zu vereinen und den Garten später auch der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Zwischen Blumen, Kakteen, Bambushainen und Palmen liegt ein Teich voller Seerosen. Springbrunnen und verzierte Bänke säumen die Wege. Im Hintergrund erhebt sich eine Villa, die sowohl durch den leuchtenden Farbton als auch durch ihre außergewöhnliche Architektur aus der Umgebung heraussticht. Das Haus im französischen Jugendstil erstrahlt in Gelb und „Majorelle-Blau“. Diese Abstufung von Kobaltblau kreierte der Künstler eigens für den Anstrich der Villa und vieler Elemente im Garten.

Vermächtnis von Yves Saint Laurent
Nach dem Tod Majorelles verwilderte die Gartenanlage, bis Yves Saint Laurent sie 1980 gemeinsam mit seinem Partner Pierre Bergé erwarb. Der französische Modeschöpfer, der in Algerien aufwuchs, besaß bereits einige Häuser in Marrakesch und war fasziniert von den Farben des Anwesens. Hier fand er die benötigte Ruhe und Inspiration für die Arbeit an seinen Kollektionen. Nach der Entwilderung und Restaurierung des Gartens wurde ein Teil davon wieder für Besucher geöffnet. Im privaten Rosengarten verstreute man nach dem Tod des Modedesigners 2008 seine Asche. Noch heute kümmern sich rund 20 Gärtner um die Anlage und eine von Bergé gegründete Stiftung sichert ihren Erhalt. Zu dem Garten gehört auch das islamische Kunstmuseum, das neben nordafrikanischen Kleidungsstücken aus dem persönlichen Besitz Saint Laurents Keramiken und Gemälde von Majorelle ausstellt.