Dein Kulturreisejournal

Jugendstilperlen in Brüssel und Antwerpen

Höhepunkte der belgischen Architektur der Jahrhundertwende

von Julia Marhenke

Verschnörkelte Linien, florale Muster, reich verzierte Fassaden. Dazu verspielte Balkons und geometrische Symmetrie. Wer bei Brüssel nur an Nato und EU und bei Antwerpen nur an Schiffe und Diamanten denkt, kann diesen Aspekt schnell übersehen.

Dabei galt gerade Brüssel Ende des 19. Jahrhunderts als Hauptstadt des Jugendstils. Über 500 solcher Häuser sind hier zu sehen. Man muss sich nur einmal abseits der bekannten Altstadt bewegen. Denn die Art Nouveau-Fassaden sind vor allem in Stadtteilen wie St. Gilles und Ixelles zu finden.

Treppenhaus des Hauses Tassel
Treppenhaus des Hauses Tassel © Henry Townsend

Victor Horta in Brüssel
Hier hinterließ unter anderem Victor Horta seine Handschrift, der durch das herrschaftliche Haus Tassel bekannt wurde. Wenn man davor steht, fallen als erstes die mittigen Glas- und Stahlerker auf. Seine wahre Schönheit offenbart das Gebäude jedoch im Innern: Organische Formen, weiche Linien, Ornamente, die sich über Böden, Wände und Decken ziehen. Dazu die freiliegenden Eisenkonstruktionen und Glaselemente.

Horta Museum
Die Fassade des Horta Museums © Paul Louis – Musée Horta, CC BY-SA 4.0

Nicht weit entfernt befindet sich das Horta Museum. 1898 von ihm als Wohnhaus und Atelier errichtet, gehört es heute ebenso wie das Haus Tassel zum Unesco Welterbe. Horta revolutionierte den traditionellen Aufbau bürgerlicher Häuser. So konzipierte er ein Oberlicht und ein großes Treppenhaus, um mehr Licht in das Gebäude zu lassen.

Glas, Eisen und Gusseisen waren wesentliche Elemente, die Horta immer wieder nutzte. Inneres und Äußeres des Gebäudes sollten im Einklang miteinander stehen, Kunst und Funktion nicht voneinander getrennt sein, sondern eine Einheit bilden. Das war typisch für den Jugendstil.

Die Natur und ihre Formen sollten auch innerhalb des Gebäudes zur Geltung kommen – im Rückblick eine Ironie, dass es gerade der technische Fortschritt der Industrialisierung war, der das neue Bauen erst ermöglichte.

L'hôtel Hannon von Jules Brunfaut
L’hôtel Hannon von Jules Brunfaut © Jean-Pol GRANDMONT, CC BY-SA 3.0

Die verschiedenen Seiten des Jugendstils
Geht man vom Horta Museum aus knapp zehn Minuten in südlicher Richtung, gelangt man zu einem weiteren Höhepunkt der Art Nouveau. Bunte Tiffany-Fenster befinden sich an einer Seite des Gebäudes – dem einzigen von Jules Brunfaut im Jugendstil errichteten. Heute befindet sich in ihm ein Museum für zeitgenössische Fotografie.

Im Innern wird schnell deutlich, dass Brunfaut sich vor allem an Horta orientierte. Die sich spiralförmig nach oben schraubende Treppe ist umgeben von einer reichen Bilderlandschaft, die sich über die Wände zieht. Auf dem Fußboden finden sich florale Linienmuster.

Völlig anders hingegen die Maison Cauchie. 1905 von Paul Cauchie konstruiert, präsentiert sie eine weitere Seite des Jugendstils. Nicht von der Natur, sondern von strikter Geometrie ließ der Architekt sich beeinflussen. Das schmale Gebäude fällt vor allem durch die Säulen im äußeren Eingangsbereich und die gold schimmernden Bilder an der Fassade auf.

Maison Cauchie
Maison Cauchie © Hilke Arijs, CC BY-SA 4.0

Jugendstil-Biennale
Brüssel bietet eine wahre Fülle an prachtvollen Jugendstilgebäuden. Alle zwei Jahre findet daher auch die Jugendstil-Biennale statt. Für diese öffnen viele Gebäude ihre Türen, die sonst für die Öffentlichkeit nicht zugänglich sind und gewähren so exklusive Einblicke.

Antwerpen
Doch nicht nur in Brüssel ist der Wandel, der mit der Jahrhundertwende vom 19. ins 20. Jahrhundert einherging, zu bemerken. Auch in Antwerpen kann man ihn sehen. Wie viele andere Städte zu der Zeit expandierte auch diese. Die Arbeitsbedingungen änderten sich, die Industrialisierung war im vollen Gange und neue Kunstrichtungen und –vorstellungen entwickelten sich.

Vor allem im Zurenborgviertel zeigt sich dies. Hier stehen nachgebaute Barockschlösschen neben toskanisch nachempfundenen Landhäusern und neoklassizistischen Gebäuden. Und mitten drin dutzende Jugendstilbauten. Insgesamt gibt es davon über 100 in Antwerpen. Ein Großteil von ihnen steht aber im Goldenen Dreieck des Viertels, das von den drei Straßen Cogels Osylei, Transvaalstraat und Waterloostraat umschlossen wird.

Blumenmuster überall
Da wäre zum Beispiel das Gebäude in der Cogels Osylei Nummer 80. Das helle, schmale Haus zeichnet sich vor allem durch den kreisrunden Giebel auf. Die eisernen Balkonbrüstungen und der Treppenlauf sind reich mit verschiedensten Linienformen geschmückt.

Cogels Osylei 80
Cogels Osylei Nummer 80 © IDD5000, CC BY-SA 3.0

Und nur wenige Häuser weiter findet man „De Zonnebloem“. Mehrere golden leuchtende Sonnenblumen sind an der weißen Fassade des Eckgebäudes angebracht, jedes Fenster unterscheidet sich vom vorherigen.

Winterhaus der "Vier Jahreszeiten"
Das Winterhaus der „Vier Jahreszeiten“ © Stomme, CC BY-SA 4.0

Ein besonderer Höhepunkt im Zurenborgviertel sind aber die „4 Jaargetijden“-Gebäude. Die vier identischen Häuser stehen sich an einer Kreuzung gegenüber, wobei jedes für eine Jahreszeit steht. Welche, kann man an den Fresken an der Fassade ablesen. Frühling und Sommer werden dabei von grünem Holz umrahmt, Herbst und Winter von braunem.

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Brüssel ist Sitz von EU und NATO, mehrsprachig, multinational und kosmopolitisch – und mit zuweilen Menschen aus 40 Nationalitäten in einer Straße eine der multikulturellsten Städte Europas. Einflüsse aus aller Welt prägen Nachtleben, Küche und Architektur.
Man taucht ein in eine Stadt zwischen Nostalgie und Zukunftsvisionen, besucht die großen Museen am Kunstberg und am Cinquantenaire, stöbert auf Flohmärkten oder lässt sich zum maßlosen Shoppen auf der Modemeile Rue Dansaert oder an der Avenue Louise verführen. Und dann wäre da natürlich noch das Atomium, Brüssels Wahrzeichen mit tollem Blick aus der oberen Kugel.
Also auf zum Trip in die Hauptstadt Europas!