Dein Kulturreisejournal

Italiens Süden

Schönheiten fernab des Massentourismus

von Friederike Reth

Apulien, Italiens Stiefelabsatz, ist eine Region, die in der Wahrnehmung vieler nicht mehr zu bieten hat als weite Tomatenfelder, Salinen, Sandstrand und eventuell noch die Mafia. Doch in der Region finden sich wahre Perlen. Schroffe Felsküsten durchsetzt von tiefen Grotten, Städte die wirken wie von Wiener Zuckerbäckern geschaffen. Der heilige Nikolaus und das schönste Ende der Welt erwarten einen hier.

Jedes Kind kennt den heiligen Sankt Nikolaus und schätzt seine Geschenke zur Weihnachtszeit. Der Zusammenhang zwischen Nikolaus und Italien ist den meisten jedoch nicht klar.

Schatten der Nikolaus-Statue in Bari
Die Gebeine des Hl. Nikolaus sind heute in Bari zu finden © Marco China67, CC BY-SA 4.0

Ursprünglich kam er aus Myra in der heutigen Türkei, seine Gebeine liegen jetzt in Bari. Zu Beginn des elften Jahrhunderts fehlte der Stadt an der Adria noch eine hohe Reliquie, all die anderen bedeutenden Hafenstädte Italiens hatten bereits welche. Kurzerhand „organisierte“ man sich bei einem Raubzug die Gebeine des Heiligen Nikolaus von Myra. Eine eigens errichtete Wallfahrtskirche und eine Statue erinnern noch heute im Stadtbild daran.
Die Stadt selbst ist außerhalb Italiens kaum bekannt. Hollywoodfans kennen sie vielleicht aus dem Film „Die Brücken am Fluss“. Autoreisende durch den Fährhafen. Dubrovnik, Patras, Korfu und andere Ziele sind von hier bequem mit dem Schiff zu erreichen.

Vorbild für die "Neustadt" Baris ist Paris
Vorbild für die „Neustadt“ Baris ist Paris © Matthias Pätzold

800 Schädel in Otranto
Baden mitten in der Stadt mit Blick auf die Stadtmauern kann man in Otranto, der östlichsten Hafenstadt Italiens. Besonders eindrucksvoll ist in Otranto aber nicht nur die Allgegenwart des Meeres, auch Kunstinteressierte kommen hier auf ihre Kosten. In der Kathedrale Santa Annunziata aus dem zwölften Jahrhundert befindet sich eines der eindrucksvollsten Mosaiken Italiens. Meister Pantaleone, ein apulischer Mönch, war mit der Bodenausstattung der Kathedrale betraut. Mit ca. zehn Millionen Mosaiksteinen erzählte er etwa 700 miteinander verwobene Geschichten und bedeckte damit eine Fläche von rund 57 x 28 Metern.

Kathedrale Otranto
Kathedrale Otranto © Matthias Kabel, CC BY 2.5

Ebenfalls in der Kathedrale befinden sich die „800 Märtyrer von Otranto“. Hinter dem Altar sind, für alle gut sichtbar hinter Glasscheiben, die Gebeine von 800 Einheimischen ausgestellt. Der Überlieferung nach stellten die Türken bei ihrer Eroberung der Stadt im Jahr 1480 die Ansässigen vor die Wahl: Sie sollten dem christlichen Glauben abschwören oder sterben. 800 Männer zogen den Tod durch Enthauptung vor. Diese Überlieferung beschäftigt nach wie vor die Gemüter der Stadt.

Reliquien der Märtyrer
Reliquien der Märtyrer © Laurent Massoptier, CC BY 2.0

Hat man die Zeit und die Muße, die Gegend um Otranto mit dem Auto zu erkunden, so laden zahlreiche kleine Buchten zum Baden ein. Glänzend blaues Wasser, in dem man Fische beobachten kann, lockt ebenso wie kleine Grotten, die atemberaubende Lichtspiele und Schutz vor der Mittagshitze bieten.

Die bekannteste Grotte ist die Grotta Zinzulusa. Ihren Namen bekam sie von den Stalaktiten, die entfernt an herunterhängende Lumpen erinnern. „Zinzuli“ heißen diese im örtlichen Dialekt. Aus der Zeit des Pliozän stammt die Grotte, in Jahren bedeutet dies, dass sie vor etwa 5.332 – 2.588 Millionen Jahren entstanden sein muss. Entdeckt wurde sie erst 1793 von einem örtlichen Priester. Mehrere hundert Meter tief schraubt sich die Grotte in den Berg, touristisch erschlossen sind nur die ersten 150. Den Rest kann man nur zu Studien- oder Recherchezwecken besuchen.

La Zinzulusa ist in drei Bereiche aufgeteilt: den Eingang, der durch zahlreiche Stalagmiten und Stalaktiten in verschiedensten Ausformungen geprägt ist und in dem sich ein kleiner See befindet, die so genannte Krypta, deren glatte Wände bis zu 25 Meter hoch sind, und den Endraum, der dann in einen unterirdischen See übergeht. In der Krypta lebten einst so viele Fledermäuse, dass der Boden der Grotte fünf Meter hoch mit festem Fledermauskot bedeckt war. Statt Fledermäusen findet man heute vor allem Touristen in der Grotte, bis zu 100.000 besuchen sie jährlich

Barocco leccese und das Ende der Welt
Florenz des Südens wird Lecce genannt. Wer einmal durch diese Stadt gewandelt ist, weiß auch, wieso. Sie mutet an wie ein barockes Freilichtmuseum mit all ihren Schnörkeln und Verzierungen. An lauen Sommerabenden möchte man sich auf einer Freiluft-Modenschau für Hochzeitskleider wähnen, so viele Brautpaare sieht man vor den sanft beleuchteten Gebäuden posieren. In den Höfen der prächtigen Paläste bieten Kunsthändler ihre Waren feil. Lecce ist so von Barock geprägt, dass man der Stadt sogar einen eigenen Stil des Barock zuschreibt, den sogenannten barocco leccese. Offensichtlichstes Beispiel dafür ist die Fassade der Basilika Santa Croce. Sie wurde in zwei Bauabschnitten gebaut. Grundsteinlegung war 1353. Doch nach 3 Jahren starb der Förderer, das Bauen wurde eingestellt. Erst knapp 200 Jahre später, 1549, war erneuter Baubeginn. Mehrere Bauherren kümmerten sich um die Vollendung der Basilica.

Basilika Santa Croce
Fassade der Basilika Santa Croce © Tango7174, CC BY-SA 4.0

Ein bisschen wie am Ende der Welt kann man sich in Santa Maria di Leuca fühlen. Die Stadt am südöstlichsten Zipfel des Stiefelabsatzes wird häufig nur wegen ihrer bezaubernden Lage besucht. Hier treffen Adriatisches und Ionisches Meer aufeinander und vereinen sich. Eine kleine Piazza, ganz aus strahlendem Marmor mit einer charmanten Basilika, lädt zum Verweilen ein. 184 Stufen führen von hier hinunter zum Hafen. Finibus Terrae wird Leuca auch genannt, und wenn das hier tatsächlich das Ende der Welt sein sollte, so ist es ein wirklich schönes.

Santa Maria di Leuca
Am südlichsten Ende Italiens: Santa Maria di Leuca © hoodrat, CC BY-SA 2.0

Unsere Literaturempfehlung:
APULIEN – Der Reiseführer von Andreas Haller
Über Apulien liegt ein detaillierter Führer von Andreas Haller zum äußersten Südosten des italienischen Stiefels vor.
Die Mezzogiorno-Region präsentiert sich dem Besucher auf knapp 20.000 qkm Fläche und auf fast 800 Küstenkilometern an zwei Meeren vielschichtig und abwechslungsreich: Von der Ebene der Tavoliere um Foggia bis zum felsigen, im Innern über 1.000 m hohen Gargano, dem Sporn des Stiefels, oder der lang gezogenen Stiefelferse, dem Salento, sind alle Sehenswürdigkeiten enthalten.
Dazu Badeurlaub vom Feinsten an den weißen Sandstränden des Gargano, bummeln in Lecce und viel Geschichte in Castel del Monte.