Dein Kulturreisejournal

Der Modernisme in Barcelona

Kunst, Kultur und Chaos prägen eine Stadt

von Friederike Reth

Gaudí, die Sagrada Familia, mediterrane Leichtigkeit, ein pulsierendes Nachtleben,. Dies sind meist die ersten Assoziationen mit Barcelona. Als „Galerie des Modernisme“ wird die Stadt mitunter bezeichnet, und Galerie trifft es ganz gut: Über 2000 Gebäude, die im Stil des Modernisme errichtet wurden oder zumindest Elemente davon aufweisen, sind hier in den Straßen ausgestellt.

Wie ein überdimensioniertes Schloss aus Sand schraubt sich die Sagrada Familia in den Himmel. Schnörkel, Spitzen, Verzierungen soweit und wohin das Auge reicht. Wie ein Wald voller Details ragt das Gebäude in die Höhe, stundenlang könnte man hier sitzen und mit den Augen spazieren gehen. Zwischendrin, wie als Erinnerung an die Realität: Kräne, Straßenlärm, Baulärm, Touristengeschnatter.

Die Sagrada Familia © C messier, CC BY-SA 4.0

1882 war Baubeginn, 2026 soll sie vermutlich fertig gestellt sein. Antoni Gaudí war der Architekt, der maßgeblich für die Sagrada verantwortlich war, ursprünglich geplant wurde sie aber von José Maria Bocabella y Verdaguer. Bereits ein Jahr nach Grundsteinlegung legte dieser die Arbeit nieder, und Gaudí übernahm. Aus einer bescheidenen, schlichten Kirche im neugotischen Stil entstand so durch ihn ein fantastischer Bau.

Deckengewölbe der Sagrada Familia
Deckengewölbe getragen von Säulen mit Baumstrukturen © Giuseppe Pinto, CC BY-SA 3.0

Als spanischer Jugendstil wird die Kunstrichtung häufig übersetzt, die sich zwischen 1885 und 1920 in Katalonien entwickelte. Die meisten Gebäude entstanden in Barcelona. Hier wurde die alte Stadtmauer abgerissen. Die Stadt bekam plötzlich die Möglichkeit, sich zu vergrößern und zu entfalten. Damit einher ging der zunehmende Reichtum und eine stark wachsende Bürgerschicht durch Industrie und Kapital, während der Rest Spaniens unter einer Depression litt. Dies beflügelte den Nationalstolz der Katalanen. Der Stadtteil Eixample entstand.

Modernismus als Ausdruck des Patriotismus
Das Bürgertum war katalanisch, kultiviert und kunstkennerisch und trieb so den Modernisme voran. Durch ein Haus im Stil des Modernisme unterstrich der Bauherr seinen katalonischen Patriotismus.

Natürliche Formen, Farbreichtum und Lebendigkeit sind die Merkmale des Modernisme, die starre Industriearchitektur der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde abgelehnt. Baumaterialien und Techniken wurden nach alter katalonischer Tradition eingesetzt. Typische katalonische Motive dienten zur Verzierung der Gebäude. Fassaden wurden reich geschmückt mit dekorativen Elementen wie Vögeln, Schmetterlingen und Blumen aus Stein und Keramik. Als „romantisches Chaos“ wird dieses Konglomerat aus natürlichen Elementen häufig auch bezeichnet.

Kunst wurde in der Epoche des Modernisme ein Teil des täglichen Lebens. In der Architektur der Stadt, in Skulpturen, Möbeln, Schmuck aber auch Malerei war sie allgegenwärtig.

Diese Alltäglichkeit und zunehmende Wichtigkeit der Kunst förderte auch das Mäzenatentum. Zu den bekanntesten Mäzenen zählte Eusebi Güell. Er war eng mit Gaudí befreundet und viele Bauwerke, die Gaudí für ihn baute, tragen seinen Namen.

Krypta der Colonia Güel
Die Krypta der Colonia Güell © Harald Kother

Eusebi Güell, Sohn eines erfolgreichen Geschäftsmannes, führte die Geschäfte seines Vaters ebenso erfolgreich fort. Güell sorgte nicht nur für faire Bedingungen in seinen Textilbetrieben, er nutzte seinen Reichtum auch, um soziale Projekte zu unterstützen und die Kunst zu fördern. 1878, bei der Weltausstellung in Paris, wurde Güell auf Antoni Gaudí aufmerksam, einen zu der Zeit umstrittenen Künstler. Die beiden verband schnell eine innige Freundschaft sowie eine lange geschäftliche Beziehung. Güell vermittelte Gaudí einige Aufträge und beauftragte ihn schließlich selbst. Gebäude die aus dieser Beziehung heraus entstanden, sind unter anderem der Palau Güell, der Stadtpalast der Familie Güell wie auch die Arbeitersiedlung Colònia Güell und das Wohnviertel Park Güell.

Casa Milà
Die Casa Milà © Thomas Ledl, CC BY-SA 4.0

Faszinierende Bauten mitten in der Stadt
Zu den bekanntesten modernistischen Stadthäusern zählt die Casa Milà. Gaudí errichtete dieses Wohnhaus Anfang des 20. Jahrhunderts für die wohlhabende Familie Milà. Die massive, geschwungene Fassade, die die Bewegungen von Steinen nachahmen soll, gab dem Gebäude seinen Spitznamen „la Pedrera“, der Steinbruch. Das letzte profane Bauwerk Gaudís, danach widmete er sich gänzlich der Sagrada Familia, ist nicht nur schön anzusehen, es zeigt auch exemplarisch die Neuerungen, die die modernistische Bauweise mit sich brachte. Mit Hilfe dreier Innenhöfe und günstig geschnittenen Fenstern in den Zimmern gelang es Gaudí, in dem von außen bullig wirkenden Gebäude klare und lichte Innenräume zu schaffen. Und trotz des reichlichen Lichteinfalls funktioniert die natürliche Belüftung so gut, dass auch im Hochsommer die Temperaturen innen in einem angenehmen Rahmen bleiben. Eine Nachrüstung der Casa Milà mit einer Klimaanlage ist daher überflüssig. Die Casa Milà beherbergt heute ein Museum mitsamt einer im modernistischen Stil eingerichteten Wohnung.

Wohnung im modernistischen Stil
Wohnung im modernistischen Stil in der Casa Milà © Harald Kother

Die Schuppen eines Drachens als Dachziegel, Totenköpfe als Balkons, Knochen als Säulen, Treppengeländer, die wie das Rückgrat eines Drachen anmuten: So präsentiert sich die Casa Batlló in Barcelona. Bunte Keramikscheiben und Gläser, mit denen die Fassade verkleidet ist, lassen sie freundlich wirken. Gaudí baute das Gebäude im Auftrag des Textilindustriellen Josep Batlló i Casanovas 1904-1906 von Grund auf um und griff dabei die Legende Georgs des Drachentöters auf. Die Dachziegel erinnern an die Schuppen des Drachen, das Kreuz auf dem Dach stellt die Lanze dar, mit der der Schutzheilige der Region, Jordi, gegen den Drachen kämpfte. Die Galerie im ersten Stock versinnbildlicht das Drachenmaul und die Balkone die Totenschädel der Opfer.

Casa Batlló
Die Casa Batlló © ChristianSchd, CC BY-SA 3.0

Dass Modernisme mehr ist, als nur detailverliebte, spielerische Architektur, zeigen zwei Orte ganz besonders. Das eine ist das „Els Quatre Gats“. Das Café und Kabarett wurde 1897 im Erdgeschoss der Casa Marti, entworfen von Josep Puig i Cadafalch, eröffnet. Sechs Jahre lang war es Anlaufpunkt für Künstler des Modernisme. Auf dem Programm standen Kunstausstellungen, literarische und musikalische Darbietungen aber auch Marionetten- und Schattenspieler. Neben den Künstlern des Modernisme zählte auch Picasso zu den Gästen. Zum Zeitvertreib illustrierte er hier die Speisekarten und das tägliche Menü.
Seit das „Els Quatre Gats“ 1978 als Restaurant wieder eröffnet wurde, kann hier stilecht in modernistischem Ambiente gespeist werden.

Quatre Gats
Modernistisch Speisen im Quatre Gats © Ralf Roletschek, GFDL 1.2

Das „Museu del Modernisme Català“ widmet sich ganz der katalanischen Form des Jugendstils. Auf 1000 Quadratmetern sind in einer ehemaligen Textilfabrik 350 Werke von 42 Künstlern ausgestellt, unter ihnen die repräsentativsten Künstler des Modernisme wie Antoni Gaudí, Ramón Casas oder Puig i Cadafalch.
Die Werke, darunter Gemälde, Skulpturen, Mobiliar und Kunsthandwerk, stammen aus der Privatsammlung der beiden Antiquare Fernando Pinós und Maria Guirao, die in 40 Jahren wahre Schätze zusammentrugen.

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Zukunftsorientiert, schick und hier und da auch ein wenig versnobt – die katalanische Mittelmeermetropole gehört zu den Topadressen des europäischen Städtetourismus. Sie ist das Traumziel für Liebhaber extravaganter Architektur und avantgardistischen Designs, präsentiert sich als modernes Shoppingparadies und als wahres Eldorado für Nachtschwärmer.
Doch Barcelona ist nicht nur eine Stadt im Vorwärtsgang. Im Barri Gòtic, dem Gotischen Viertel rund um die mächtige Kathedrale, schlägt ein vitales mittelalterliches Herz mit einem Gewirr aus kleinen Gässchen, in denen man sich herrlich verlaufen und die Zeit vergessen kann.