Dein Kulturreisejournal

Industrieanlagen im Ruhrgebiet

Mehr als nur stillgelegte Betriebe

von Julia Marhenke

Zum Ruhrgebiet gehören die Industrieanlagen wie der Deckel zum Topf. Bilder von Fördertürmen, Halden, Zechen und Schächte hat man sofort im Kopf, wenn man an die Region denkt. Die Glanzzeiten des aktiven Kohleabbaus sind zwar längst vorbei. Dennoch stehen die alten Anlagen nicht nur trostlos in der Gegend herum.

Förderturm der Zeche Zollverein
Förderturm der Zeche Zollverein © Matthias Pätzold

Die schönste Zeche der Welt
Mit roten Backsteinfassaden und einem streng symmetrischen Aufbau präsentiert sich die Zeche Zollverein. Die Wege und Gebäude verlaufen parallel, Kreuzungen sind im rechten Winkel aufeinander abgestimmt. Als die schönste Zeche der Welt wurde sie bezeichnet.
Auch wenn einem selbst vielleicht nicht unbedingt das Wort „schön“ als erstes in den Sinn kommt. Eindrucksvoll ist sie allemal, gehört seit einigen Jahren sogar zum Weltkulturerbe der Unesco. Ebenso wie die daneben liegende Kokerei.

Weltweit ist Zollverein die einzige Anlage, die noch heute vollständig die Komplexität des Kohleabbaus erkennen lässt. Zu ihren Glanzseiten in den 30er Jahren – nachdem die gesamte Förderung und Aufbereitung in einem Schacht zusammengelegt wurde – förderten die Arbeiter hier 12.000 Tonnen Kohle pro Tag. Zu Beginn benötigte die Anlage ein ganzes Jahr für diese Menge.

135 Jahre war die Zeche bis zu ihrer Schließung 1986 in Betrieb. Schon ein Jahr später entstand die Idee, das Gelände kulturell zu nutzen. Ein Konzept, das aufgehen sollte, denn inzwischen kommen jährlich rund eine Million Besucher hierher.

Früher Industrie, heute Kultur
Konzerte, Ausstellungen, Kreativwerkstätten, Museen, Galerien, ja sogar ein Schwimmbad gibt es hier. So hat sich unter anderem das Ruhr Museum in der ehemaligen Kohlenwäsche angesiedelt, wo es die gesamte Natur- und Kulturgeschichte des Ruhrgebiets in einer Dauerausstellung präsentiert.

Palace of Projects
Palace of Projects, Ilya und Emilia Kabakov © Matthias Pätzold

Ungewöhnlich auch der „Palace of Projects“ von Ilya und Emilia Kabakov in der Kokerei. Ein Haus im Haus, vollgestopft mit Ideen zum Anschauen und Nachmachen. Oder das Phänomania Erfahrungsfeld im Fördermaschinenhaus, das an 80 Stationen die Möglichkeit zum Entdecken der eigenen Sinne bietet.

Die ehemalige Kokerei
Die ehemalige Kokerei der Zeche Zollverein © Matthias Pätzold

Licht und Stein
Nachts wird die Kokerei durch die Installation von Jonathan Speirs und Mark Major in ein anderes Licht gerückt. In rot und blau erstrahlt sie dann – in den Farben des Feuers, mit dem hier früher gearbeitet wurde.

Und auch der Birkenwald auf einer ehemaligen Abraumhalde bietet seine Höhepunkte. Anlässlich der Documenta IX hat Ulrich Rückriem hier Granitskulpturen aufgestellt. Einige von ihnen bilden zusammen das „Castell“, dessen Inneres man über schmale Schneisen betreten kann.

Granitskulptur von Ulrich Rückriem
Granitskulptur von Ulrich Rückriem © Matthias Pätzold

Landschaftspark Duisburg-Nord
Knapp 26 Kilometer von Zollverein entfernt befindet sich eine weitere stillgelegte Industrieanlage, die Besucher durch eine gelungene Umwidmung mitsamt eindrucksvoller Lichtinstallation in den Bann zieht. Der Landschaftspark Duisburg-Nord hält unterschiedlichste Möglichkeiten bereit.

Bis 1985 wurde hier Roheisen, in erster Linie für die Thyssenschen Stahlwerke, produziert. Noch heute zeugen Hochofen, Gasometer, Gießhalle, Hüttenmagazin und andere Gebäude und Hallen von der Arbeit, der hier 62 Jahre lang nachgegangen wurde.

Kunst und Sport in Hülle und Fülle
Statt Eisen wird nun allerdings Kultur geschaffen. Diverse Messen, Konzerte, Lesungen und Theateraufführungen finden hier statt. In Kinosälen werden Filme gezeigt. Im alten Erzbunker befindet sich ein Klettergarten und von der Gießhalle aus gelangt man auf einen Hochseilparcours, der Mutige bis zu 50 Meter über den Erdboden führt

Eine besonders außergewöhnliche Nutzung ist dem Gasometer der Anlage zugefallen. Aufgefüllt mit Wasser und mit einem Schiffswrack sowie einem künstlichen Riff versehen, können Taucher hier bis zu 13 Meter tief ihrem Hobby nachgehen. Statt nach unten führt hingegen der Hochofen nach oben und bietet so dem Besucher die Möglichkeit, die Aussicht über den Landschaftspark zu genießen.

Lichtkunst
Wie Zollverein bietet auch dieses Hüttenwerk bei Nacht einen gänzlich anderen Anblick. In verschiedensten Farben und mit unterschiedlichsten Lampen wird nach Sonnenuntergang ein wahres Lichtermeer geschaffen.

Verantwortlich hierfür ist Jonathan Park, ein britischer Lichtdesigner. Einen Namen hat er sich vor allem im Rock- und Pop-Geschäft gemacht: Park konzipierte unter anderem Lichtshows für die Bühnenauftritte von Pink Floyd, den Rolling Stones, Tina Turner und vielen anderen Künstlern.

Landschaftspark Duisburg
Beleuchteter Hochofen im Landschaftspark Duisburg © Tuxyso, CC BY-SA 3.0

Als Park seine Installation Mitte der 90er einweihte, schuf er damit im Übrigen mehrere Beinahunfälle, denn die Duisburger waren von der plötzlichen Lichterscheinung zunächst völlig überrascht. Inzwischen ist das nächtliche Spektakel aber nicht mehr wegzudenken. Denn schon von der Autobahn aus ist das bunte Lichtspiel zu sehen.

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