Fantasievolle Architektur mit ökologischem Konzept
von Hanna Halbritter
„Ein Mann in einem Mietshaus muss die Möglichkeit haben, sich aus seinem Fenster zu beugen und – so weit seine Hände reichen – das Mauerwerk abzukratzen. Und es muss ihm gestattet sein, mit einem langen Pinsel – so weit er reichen kann – alles rosa zu bemalen, so dass man von weitem, von der Straße, sehen kann: Dort wohnt ein Mensch, der sich von seinen Nachbarn unterscheidet, dem zugewiesenen Kleinvieh!“
So vertrat der Maler Friedensreich Hundertwasser seine Ansichten von natur- und menschengerechterem Bauen bzw. Wohnen schon 1958 in seinem Verschimmlungsmanifest gegen den Rationalismus und eine funktionale Architektur. Auch knapp 20 Jahre später hielt der passionierte Querdenker bei der Umsetzung seines ersten kunterbunten Bauwerks daran fest.
Den Anstoß für die Erbauung des „Wohnhauses der Gemeinde Wien“ legte 1977 der damalige Bürgermeister Leopold Gratz, der Hundertwasser ein Grundstück zur Errichtung eines Hauses nach seinen Ideen und Wünschen anbot. Die Wahl fiel schließlich auf ein 1000 Quadratmeter großes Areal im 3. Bezirk, Ecke Kegel-/Löwengasse.
Der Architekt Josef Krawina arbeitete den Entwurf des Autodidakten Hundertwasser für eine Wohnhausanlage weiter aus. Dabei berücksichtigte Krawina auch Aspekte des ökologischen Bauens und der Dachbegrünung. Das dennoch sehr konventionelle Konzept war jedoch nicht in Hundertwassers Sinne, so dass es schließlich zum Bruch mit dem Architekten kam, der sich mit den Vorstellungen des Künstlers wider eine „scholastische Architektur“ nicht identifizieren konnte.
Peter Pelikan, ein bei der Stadt Wien fest angestellter Architekt, wurde der neue Mitarbeiter an der Seite Hundertwassers. Diese Kollaboration sollte in Zukunft so gut funktionieren, dass sie auch bei den noch folgenden Architekturprojekten zusammen arbeiteten. Der Grundstein für das Haus mit insgesamt 50 Wohnungen, 4 Geschäftslokalen, einer Arztpraxis und 19 Dachterrassen wurde 1983 gelegt. Nach der Fertigstellung im Jahr 1986 gab es zweigeteilte Reaktionen auf das extravagante Bauwerk: Einige spotteten über die kitschigen Formen des „Wiener Luftschlosses“, während sich viele Menschen auch für Hundertwassers verspielte Märchenschlossarchitektur begeistern konnten und darin wohnen wollten.
Heute pilgern die Touristen in Scharen zum Hundertwasser-Krawina-Haus, einer der beliebtesten Sehenswürdigkeiten Wiens. Hundertwassers gebauter Kindertraum ist jedoch nur von Außen zu betrachten, es ist schließlich nicht nur Kunstwerk, sondern auch ein – zugegebenermaßen unkonventionelles – Wohnhaus. Die kuriosen Charakteristika seiner Baukunst wie die bunten Säulen, Bögen, Kugeln und goldenen Zwiebeltürme lassen allerdings auch schon die Fassade zu einem visuellen Höhepunkt werden und sollen das Haus laut Hundertwasser an eine Fata Morgana erinnern lassen. Ein weiteres Mittel seiner phantasievollen Gestaltung sind auch die acht unterschiedlichen Fenstertypen, die neben der farblichen Abgrenzung jeder einzelnen Wohneinheit für den Wunsch der Menschen für Individualität, Abwechslung und Harmonie stehen.
Diesem Wunsch trägt Hundertwasser auch mit seinem Konzept der drei Häute Rechnung. Nach seiner Vorstellung ist der Mensch demnach von drei Schichten umgeben: der eigentlichen Haut, der Kleidung und den Gebäudemauern. Die beiden Letztere entsprechen jedoch kaum noch den Naturbedürfnissen des Einzelnen, wogegen Hundertwasser schon mit der ersten seiner berühmt-berüchtigten Nacktreden im Jahr 1967 in München protestierte. Er nahm sich schließlich speziell der Architektur an und geht mit seiner speziellen Art der unregelmäßigen Gestaltung gegen die anonymen, seelenlosen, kalten und leeren Bauten der Großstadtmonotonie an.
Im Inneren des Hunderwasser-Krawina-Hauses zieht sich die besondere Bauweise wie ein roter Faden mit unregelmäßigen Wandelgängen, unebenen Fußböden, abgerundete Ecken und individuellen Details der Wohnungsgestaltung weiter durch. Fliesen und Mosaikbänder wurden beispielsweise von den Handwerkern unregelmäßig und ganz nach deren Phantasie verlegt.
Der oft als „Behübscher“ oder „Kitschist“ geschmähte Hundertwasser verdammte die gerade Linie als „gottlos und unmoralisch“ und legte Wert auf den unregelmäßigen, organischen Verlauf vieler Strukturen, die er so als „tanzend“ empfand.
Um seinen neu erbauten Wohn- und Lebensraum in Einklang mit der Natur und formeller Freiheit zu bringen, entwickelte Hundertwasser das Fensterrecht und die Baumpflicht. Beim Fensterrecht handelt es sich um das Recht des Mieters die Fassade des Hauses so weit zu verändern wie sein Arm reicht. Es ist im Mietvertrag aufgeführt, muss jedoch bei der Stadt Wien beantragt werden und wurde bisher noch nie von einem Mieter in Anspruch genommen.
Die Baumpflicht entstand, da der Natur laut Hundertwasser kein Platz durch ein Bauwerk weggenommen werden darf bzw. zurückgegeben werden muss. Dieser Grundsatz wurde beim Hundertwasser-Krawina-Haus verwirklicht, indem das terrassenförmig abfallende Dach begrünt wurde und Bäume aus Fenstern, Nischen und von Balkonen wachsen, die so genannten Baummieter. Diese zahlen ihre Miete laut Hundertwasser in „wahren Werten“, wie beispielsweise dem Erzeugen von Sauerstoff, dem Schlucken von Lärm oder auch ihrer Schönheit. Insgesamt wachsen etwa 500 Bäume und Sträucher auf den Terrassen, Balkonen, im Wintergarten, im Innenhof und beleben das Haus.
Nach dem Bruch mit Krawina hatte Hundertwasser die Urheberschaft für sich in Anspruch genommen, wodurch das Haus zunächst – nicht ganz zu Recht – als Hundertwasserhaus bekannt wurde.
Da die Pläne Krawinas jedoch nur geringfügig verändert wurden und ihm in einem Gutachten auch ein gewisser künstlerischer Anteil zuerkannt wurde, hat er nach einer Klage vor dem Obersten Gerichtshof in Wien das Recht ebenfalls als gleichberechtigter Urheber genannt zu werden. Das ehemalige Hundertwasserhaus ist nun also das Hundertwasser-Krawina-Haus.
Unsere Reiseempfehlung:
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„Musentempel wie das Burgtheater oder prachtvolle Paläste wie die Hofburg oder Schloss Schönbrunn ziehen das ganze Jahr über scharenweise Touristen aus aller Welt an – Wien hat immer Saison! Dabei sind es nicht nur baulichen Zeugnisse der Vergangenheit, die Wien zu einem Glanzpunkt auf der Karte des europäischen Städtetourismus machen. Seit den 80er Jahren beleben Szenekneipen und Designerrestaurants das gastronomische Angebot der legendären Kaffeehäuser und Heurigen. Neuerdings profiliert sich die Stadt sogar als Aktionsfeld innovativer Architekten und Designer.“