Dein Kulturreisejournal

Die Casa Milá in Barcelona

Das Gaudí-Museum

von Harald Kother

Mitte des 19. Jahrhunderts stand die Metropole am Mittelmeer in voller Blüte. Die Industrialisierung sorgte für bislang ungeahnten Wohlstand. Das Bürgertum verlangte jetzt nach großen, repräsentativen und modernen Wohnhäusern.

Ende des 19., Anfang des 20. Jahrhunderts erlebte die Stadt einen bislang nicht gekannten Bauboom, dem Gaudí seinen unverkennbaren Stempel aufdrückte. Im Gaudí-Museums in der Casa Milá kann man in die Welt des Architekten eintauchen.

Die Casa Milà
Die Casa Milà © Thomas Ledl, CC BY-SA 4.0

Das Gebäude ist auch bekannt unter dem Namen „La Pedrera“. Die Fassade ragt wie eine Welle aus Stein hervor und erinnert mehr an eine Skulptur, als an ein Wohnhaus. Durch eine Glastür mit vielen nach oben sich vergrößernden nierenförmigen Fenstern gelangt man in den Innenhof. Wer ihn betritt, fühlt sich wie ein Höhlenforscher. Dunkel und schattig ist es hier, dennoch halten sich Palmen und andere tropische Pflanzen. Etwas weiter hinten, fast schon versteckt, liegen die Eingänge zu den Treppenhäusern.

Als Haustiere nur Schlangen möglich
Das Geländer schlängelt sich mit sanften Windungen nach oben und vollzieht in regelmäßigen Abständen eine Spitzkehre. An der Wand fließt eine Welle aus Stein das Treppenhaus hinunter – oder hinauf? Irgendwie kommt man sich hier vor wie im Inneren eines Fabeltieres. Kein Wunder, dass 1910, bei der Einweihung das Hauses, Zeitgenossen spotteten: das einzige Haustier, das man hier halten könne, sei eine Schlange. Ein Vorurteil. Denn betritt man die Museumswohnung, offenbart sich ein anderer Gaudí: Hinter der eigenwilligen und exzentrischen Fassade verbergen sich klar gegliederte und lichtdurchflutete Räume. Es stört auch nicht, dass die Wände nicht im rechten Winkel zueinander stehen. Denn dadurch öffnen sich die Wohnräume zur Straße oder zum Innenhof hin.

 Jugendstil-Möbel
Feinste Jugendstil-Möbel © Harald Kother

Die Räume sind der Jahrhundertwende entsprechend eingerichtet. Im Schlafzimmer steht ein Bett, das an einen Schmetterling erinnert. Im Arbeitszimmer grüßen luftige Vitrinen. Alle Möbel sind original Jugendstil. Auch das Badezimmer ist hell und geräumig. So manch Bewohner einer Mietskaserne dürfte auch heute noch neidisch auf solch ein Bad sein. Dass diese Wohnungen für die Oberschicht geplant wurden, zeigt das Zimmer des Hausmädchens. Dieser Raum ist der kleinste der gesamten Wohnung.

Zusätzlich gibt das Museum einen Überblick über die Entwicklung Barcelonas im 19. Jahrhundert. Durch die Industrialisierung wuchs die Stadt schnell, die mittelalterliche Altstadt wurde zu klein. Stadtplaner beschlossen eine großzügige Erweiterung der boomenden Metropole und legten ein schachbrettartiges Muster um die alten Viertel. Und die neuen Stadtteile riefen nach neuen Architekten. Deswegen bot Barcelona um 1900 viel Platz für unkonventionelle Ideen. So konnte Gaudí an vielen Ecken seine Spuren hinterlassen.

Wohnung im modernistischen Stil
Wohnung im modernistischen Stil in der Casa Milà © Harald Kother

Revolutionäre Bautechniken
Modernisme, so heißt die Architektur Gaudís, wird oft als katalanischer Jugendstil bezeichnet. Allerdings entwickelte Gaudí nicht nur einen neuen Stil, sondern auch neue Bautechniken. So gibt es in der Casa Milà keine tragenden Wände. Alle Lasten ruhen auf einem Skelett aus Säulen – ein damals revolutionäres Konzept, mittlerweile tausendfach in Hochhäusern und Wolkenkratzern kopiert.

Über diese architektonischen und baustatischen Finessen der Werke Gaudís informiert die Ausstellung unterm Dach der Casa Milá. Dabei zieht der Raum hier oben mit seiner eigenartigen Rippenstruktur selbst die Aufmerksamkeit auf sich. 270 Bögen aus Ziegelsteinen formen einen Hohlraum, der sich mehrfach verzweigt und wieder vereinigt. Man fragt sich, ob man sich in einer Kathedrale, einer Höhle oder im Inneren eines riesigen, tönernen Walfisches befindet.

Lüftungsschächte auf der Casa Mila
Standen diese Lüftungsschächte Pate für Darth Vader? © Harald Kother

Paten für Darth Vader
Die Stunden vergehen in dem Museum schnell. Jetzt wird es Zeit für ein wenig frische Luft. Nur noch wenige Schritte sind es bis auf das Dach. Sofort fallen die eigenartigen Skulpturen ins Auge. Schornsteine und Belüftungsrohre haben sich in steinerne Wächter, ja Krieger verwandelt. Es heißt, George Lukas habe sich von diesen Figuren inspirieren lassen, als er Darth Vader für Star Wars schuf. Es braucht einige Momente, bis sich der Blick von den Skulpturen löst und auf die Metropole richtet, die einem hier oben zu Füßen liegt: Ungefähr einen Kilometer entfernt hebt sich die Baustelle der Sagrada Familia klar vom übrigen Stadtbild ab. Weiter östlich schlummert der Yachthafen und dahinter funkelt das Meer im Sonnenlicht.

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