Dein Kulturreisejournal

Der Ohlsdorfer Friedhof in Hamburg

Idyllische Natur und bemerkenswerte Kunst

von Anika Batschi

Nicht-Hamburger reagieren meistens erstaunt, wenn sie hören, dass auf dem Friedhof Ohlsdorf Busse zwischen den zwölf Kapellen verkehren und Autos fahren. Doch das ist nicht die einzige Besonderheit der Parkanlage: Neben wunderschöner Natur finden sich hier auch fast vergessene Kunstwerke.

Sie verstecken sich zwischen Rhododendronbüschen und Hecken. Hoch oben in den Kiefern, die das Grab der Familie Moeller-Jarke säumen, hämmert ein Specht. Die Baumwipfel rauschen, bunte Schmetterlinge gaukeln durch die Luft. Ein wenig zögerlich beugt sich die bronzene Dame auf dem Grab vor und neigt den Kopf, um an der Tür zu lauschen.

Die linke Hand stützt sie vorsichtig am Stein ab. Die Haltung ihres angewinkelten rechten Arms erweckt den Eindruck, als wolle sie jeden Moment wieder umkehren. Diese Geste der etwa 1,70 Meter großen Plastik soll das Lauschen am Paradiestor verkörpern, das Horchen ins Jenseits.

Barlach Skulptur "Lauschende"
Barlachs „Lauschende“ © Anika Batschi

Im Nachhinein distanzierte sich Barlach deutlich von diesem frühen Werk, das keine Ähnlichkeiten mit späteren Arbeiten von ihm aufweist. Sehenswert ist es dennoch – auch wenn sich wahrscheinlich nicht viele Besucher vorsätzlich hierher verirren.

Werke des Jugendstils
Unter den rund 800 Skulpturen auf dem Friedhof finden sich mehrere Exemplare, die dem Jugendstil zuzuordnen sind. Dazu zählen insbesondere einige nur leicht oder gar nicht bekleidete Frauenstatuen, die an einem solchen Ort vielleicht etwas irritierend wirken.

Ein Musterbeispiel aus dieser Zeit ist das Werk des Künstlers Caesar Scharff an der Familiengrabstätte Diederichsen (Lage: AC17, 31-50). Die Plastik an der Route des „Stillen Weges“ in der Nähe des Nordteichs erschuf der Bildhauer im Jahr 1901.

Scharffs Plastik am Grab Diederichsen
Scharffs Plastik am Grab Diederichsen © Anika Batschi

Das große Portal stellt das Tor zur Unterwelt dar, eingerahmt von zwei Sphinxen. Mittig steht eine junge Frau, deren Gestalt nur noch von Stofffetzen teilweise verhüllt ist. Die linke Hand hält sie an ihren Kopf, als müsse sie die Augen schützen. Ein bärtiger alter Mann, der im Relief neben ihr hinter dem Tor erkennbar ist, hält den rechten Arm der Frau umfasst. Über den Figuren stehen die Worte „Ihr müsst alle diese Straße wandeln“. Der Greis könnte den Fährmann Charon aus der griechischen Mythologie darstellen, der die Frau ins Reich der Toten geleiten möchte.

Berühmte Persönlichkeiten
In unmittelbarer Nähe des U- und S-Bahnhofs Hamburg-Ohlsdorf befindet sich der Haupteingang des Friedhofs. An der zentralen Bushaltestelle starten und enden hier die Runden der Linien 170 und 270. Im 20- bzw. 30-Minuten-Takt fahren Busse ab und steuern die insgesamt 22 Haltestellen an. Die Buslinien verkehren ausschließlich auf dem 391 Hektar umfassenden Friedhofsgelände.

Althamburgischer Gedächtnisfriedhof
Althamburgischer Gedächtnisfriedhof © Anika Batschi

Einige Meter entfernt weist ein Schild den Weg zum Althamburgischen Gedächtnisfriedhof. Durch die symmetrische Anordnung der Wege zwischen den Grabreihen erinnert die Anlage an einen Barockgarten. Dieser Teil des Friedhofs ist eine Gedenkstätte für zahlreiche bekannte Hamburger vergangener Zeiten.

Die Ehre gilt auch Personen, deren Wirken wichtig für die Hansestadt war: Zum Beispiel Charles „Chéri“ Maurice, der 1843 das Thalia Theater eröffnete, und Alfred Lichtwark, der 1886 erster Direktor der Hamburger Kunsthalle wurde. Auch Philipp Otto Runge, neben Caspar David Friedrich der bedeutendste deutsche Maler der Romantik, ist hier begraben. Ebenso der Mediziner Bernhard Nocht, einst Begründer des Instituts für Tropenmedizin.

Bushaltestelle am Wasserturm
Bushaltestelle am Wasserturm © Anika Batschi

Von der „Dichterecke“ auf den „Stillen Weg“
Viele berühmte Hamburger wurden jedoch nicht direkt hier begraben, sondern nach der Gründung des Friedhofs im Jahr 1877 und zu Beginn des 20. Jahrhunderts umgebettet. Auf einer kleinen Treppe oberhalb der Gräber wacht eine überlebensgroße Christusfigur aus weißem Marmor über die Gedenkstätte. Der Schweizer Bildhauer Xaver Arnold erschuf sie ab 1903. Er war ein Freund des ersten Friedhofdirektors Wilhelm Cordes und ist mit insgesamt 20 Werken auf dem Areal vertreten.

Wendet man sich am Haupteingang gleich nach links, gelangt man am Ende der Talstraße zu einem kleinen Rundweg, der auch als „Dichterecke“ bekannt ist. In idyllischer Landschaft haben hier hauptsächlich niederdeutsche Literaten ihre letzte Ruhe gefunden. In der Mitte erhebt sich ein kleiner Hügel, auf dem das Grab des Schriftstellers Fritz Stavenhagen liegt.

Am Fuß der Erhebung wurde der früh verstorbene Wolfgang Borchert bestattet. Ein Grabmal erinnert außerdem an Richard Ohnsorg, den Begründer des Ohnsorg-Theaters. Einige Schritte entfernt ruht der Volksschauspieler Henry Vahl. An diesem Fleckchen des Friedhofs beginnt auch der so betitelte „Stille Weg“, die wohl schönste Strecke für einen Spaziergang. Die Route ist ausgeschildert.

Blühende Gärten und Friedhofsengel
Zu Fuß oder auch mit dem Fahrrad lassen sich die vielen schönen Plätze und Besonderheiten auf dem Friedhof Ohlsdorf wunderbar auf eigene Faust entdecken. Führungen werden ebenfalls angeboten. Natürlich ist überall ein dem Ort angemessenes Verhalten angebracht, doch der Parkfriedhof ist ausdrücklich auch als Naherholungsgebiet gedacht und lockt Hamburger ebenso wie Besucher der Stadt an. Vor allem die Gartenanlangen wie Schmetterlingsgarten, Rosengarten und Rosenhain sind beliebte Stationen.

Bei einem Spaziergang empfiehlt es sich auch, auf die zahlreichen Engelstatuen auf dem Gelände zu achten. Leider sind einige der Galvanoplastiken bereits von der Zeit gezeichnet und haben einzelne Hände oder Flügel verloren, doch nach wie vor ist die friedliche und geheimnisvolle Aura, die sie umgibt, faszinierend. Im Mai bietet sich durch die überall blühenden Rhododendren ein besonders reizvolles Ambiente.

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