Dein Kulturreisejournal

Wismar und Stralsund

Zwei Städte, ein Titel

von Duygu Yilmaz

Ob nun idyllische Häfen, prachtvolle Rathäuser, alte Kirchen oder Überreste ehemaliger Klöster: Den Hansestädten Wismar und Stralsund fehlt es nicht an Sehenswürdigkeiten. Doch noch vor wenigen Jahren drohte alles zu zerfallen. Mit der Bewerbung um den Unesco-Welterbe-Titel gelang der Umschwung.

Gleich zwei traumhaft schöne Altstädte, wie es sie nur noch selten gibt. Die Straßen von Stralsund und Wismar sind mit kunstvollen Bauwerken übersäht. Vor der Wende sah das jedoch noch anders aus: Viele historische Schätze waren dem Verfall preisgegeben. Erst nach 1989 fing man an die Bauwerke und Altstädte zu restaurieren. Dass Beide ein reiches, historisches Gut beherbergen, wurde nach und nach sichtbarer. Trotzdem war es bereits Ende 1995, als sie sich endlich als Welterbe-Städte bewarben. Nachdem die ersten Hürden geschafft waren schlug die Kultusministerkonferenz der Bundesrepublik Deutschland beide Hansestädte der Unesco vor. Von diesem Zeitpunkt an gingen sie ihren Weg gemeinsam weiter. Ende 2000 stellten sie den internationalen Welterbeantrag fertig und reichten ihn bei der Unesco in Paris ein. Seit dem 27.Juni 2002 sind Wismar und Stralsund offizielle Mitglieder der Unesco Welterbe-Städte.

Marienkirche in Stralsund
Marienkirche in Stralsund © IBK

Dunkelrote Türme von Kirchen und Klöstern ragen weit in den Himmel und prägen die Silhouetten. Fassaden in leuchtendem Rot, abgewechselt mit hellem Sandstein ergeben eine kontrastreiche Atmosphäre. Verschiedenste Rottöne der Dachziegel und der gotischen Backsteinbauten versetzen Stralsund und Wismar in ein in warmen Farben schimmerndes Ambiente. Die Altstädte enthüllen gut erhaltene, mittelalterliche Grundrisse und gotische Stilelemente.

Auch historisch gesehen haben die Städte viele Gemeinsamkeiten: Nähert man sich den Städten von der Seeseite, entpuppen sie sich als traditionelle Hafen- und Handelsstädte. Da sich beide Städte am Wasser befinden, boten sie besonders günstige Bedingungen für einen Siedlungsbau. Außerdem führen durch beide Städte ehemals wichtige, mittelalterliche Handelsstraßen und bedeutungsvolle, alte binnenländische Handelswege. Beide Städte sind zudem typische Repräsentanten der norddeutschen Backsteingotik: Abgesehen von den Baublöcken und Straßenzügen sind es die großen Solitärbauten und weitere repräsentative Einzelgebäude, die das Stadtbild charakterisieren.

Gleich drei gotische Kirchen bietet die Stadt am Strelasund: Die Marienkirche ist die größte Pfarrkirche der Hansestadt, während die Nikolaikirche die älteste ist. Die Jakobikirche ist die jüngste der drei Pfarrkirchen und wird derzeit ausschließlich als Kulturkirche für Theateraufführungen, Ausstellungen, Kunst und Konzerte genutzt.

Wismar repräsentiert mit seinem unvollendetem Westturm der Georgenkirche den Niedergang der einstmals reichen Hansestädte im 15. Jahrhundert. Denn mit dem allmählichen Bedeutungsverlust der Hanse und der daraus resultierenden relativen Stagnation wurden – sowohl in Wismar als auch in Stralsund – im Laufe des Jahrhunderts immer weniger Gebäude errichtet.
Dennoch entstanden in Wismar herausragende Beispiele norddeutscher Renaissancearchitektur: Straßenfassaden aus leuchtend roten Backsteinen mit Gliederungselementen aus hellem Sandstein – der hieraus entstehende Kontrast ist durchaus sehenswert. Es ist die Rede vom berühmtem „Schnabbellhaus“ an der Schweinsbrücke, welches heute vom Stadtgeschichtlichen Museum genutzt wird.

Schnabbelhaus in Wismar
Schnabbelhaus in Wismar © IBK

Neben den Sakralbauten der Backsteingotik verfügen beide Städte außerdem über einen umfangreichen Bestand wertvoller Profanarchitektur. Als Vorbild hierzu dient das gotische Rathaus in Stralsund, das als eines der bedeutendsten der Backsteingotik gilt. Das Gebäude ist eine langgestreckte Vierflügelanlage und stammt aus dem frühen 14. Jahrhundert. Voller Prunk und Dekoration spiegelt sie den Stolz der Stadt auf dem Höhepunkt ihrer Machtentfaltung wieder.

Rathaus in Stralsund
Das Rathaus in Stralsund © IBK

Eine unverwechselbare Verwandtschaft mit der Nordfassade des Rathauses weist das Gebäude der Stralsunder Stadtwaage auf. Bauwerke wie diese stehen typischerweise in allen Handelsstädten des Mittelalters. In ihnen wurde Ware gewogen, die zum Verkauf, Versand oder zur Verschiffung vorgesehen waren. Auch hier schafft ein raffinierter Wechsel von glasierten und unglasierten Backsteinen herrliche Muster. Der Giebel mit seinen polygonen Pfeilern und seinen reichen Schmuckformen diente Repräsentationszwecken.
Wismar verfügt ebenfalls über ein erwähnenswertes Rathaus. Das heute klassizistische Gebäude hat wesentliche Teile seiner gotischen Wurzeln integriert: das aufgehende Mauerwerk bis ins erste Obergeschoss, sowie die Gerichtslaube im westlichen Seitenflügel des Erdgeschosses, den Saal und den Rathauskeller, die jeweils zweischiffig sind und über ein Kreuzrippengewölbe verfügen.

Rathaus in Wismar
Rathaus in Wismar © IBK

Auch an Klöstern fehlt es in beiden Städten nicht: Das im Jahre 1251 gegründete Dominikanerkloster St. Katharinen in Stralsund ist sogar fast noch vollständig erhalten. Ebenso das im Jahre 1254 gegründete Franziskanerkloster St. Johannis. Beide Hospitäler dienten einst zur Aufnahme und Versorgung der Kranken. Das Heilgeist-Hospital, das im Jahre 1256 noch am östlichen Ende der Heilgeiststraße lag, wurde zu Beginn des 14. Jahrhunderts an seinen heutigen Standort in der Nähe des Frankentores verlegt.

Auch Wismar bietet zahlreiche, wenn auch nicht vollständig erhaltene Klöster. Von seinen zwei mittelalterlichen Klosteranlagen sind nur noch Überreste erhalten geblieben: Das im Jahre 1293 gegründete Dominikanerkloster besteht nur noch aus dem Chor seiner Klosterkirche. Dieser kann von dem im Jahre 1251 gegründetem Franziskanerkloster lediglich archäologisch nachgewiesen werden. Nur das Heiligen-Geist-Hospital ist bis heute in seiner mittelalterlichen Gestalt erhalten geblieben. Es verfügt über einen wunderschönen Innenhof, welcher ehemals ein Friedhof war. Das gesamte Gebäude bildet ein Ensemble von seltener Geschlossenheit.

Des Weiteren verfügt Stralsund über einen historischen Höhepunkt: Das einzig erhaltene mittelalterliche Scharfrichterhaus im Ostseeküstenbereich. Das Bauwerk wurde 1289 erstmals urkundlich erwähnt und war Wohn- und Arbeitsstätte des Scharfrichters.
Aber auch Wismar bietet ein einmaliges Kunstwerk: Die von Philipp Brandin im Jahre 1580 bis 1602 entworfene Wasserkunst auf dem Marktplatz ist zum Wahrzeichen der Stadt geworden. Der prächtige Pavillon zeigt die Formen niederländischer Renaissance und ist ein schmuckvolles Gehäuse für das Sammelbecken der kurz vorher angelegten hölzernen Wasserleitung.
Mit der im Jahre 2001 gegründeten „Deutsche Stiftung Welterbe“ wollen sie gemeinsam die Verantwortung für das weltweite kulturelle und natürliche Erbe wahrnehmen. Wismar und Stralsund – zwei Städte, die den Welterbe-Titel mehr als nur verdient haben.

Die Wasserkunst in Wismar
Die Wasserkunst in Wismar © IBK

Und noch eine Stadt will in die Liste mitaufgenommen werden: komplexe Kirchenausstattungen, eine Architektur mit kathedralem Anspruch und stilvoller Ikonographie. Bad Doberan kann nicht nur mit der hochgotischen Innenarchitektur des Münsters punkten. Auch der zur Stadt gehörende Ort Heiligendamm mit seiner klassizistischen Badearchitektur ist einzigartig und zählt zu den ersten deutschen Seebädern.
Das Bewerbungsverfahren um Welterbestadt zu werden ist lang: Zunächst darf jedes Bundesland zwei Vorschläge bei der Kultusministerkonferenz in Deutschland einreichen. Jedoch kann nicht jeder dieser Vorschläge auf die Vorschlagsliste der Unesco kommen – die Kultusministerkonferenz koordiniert und reduziert diese. Die Vorschläge werden fachlich sortiert, abgestimmt und nach den Kriterien der Unesco zusammengeführt. Diese Vorschlagsliste dient ab dem Zeitpunkt der Verabschiedung als interne Grundlage für künftige Nominierungen deutscher Welterbestätten zur Aufnahme in die Unesco-Welterbeliste. Die entgültig verabschiedete Liste wird im Unesco-Welterbezentrum in Paris eingereicht. Ob es zum Titel einer Welterbestadt reicht entscheidet dann letztlich das Unesco-Welterbekomitee.
Im Jahr 2005 begann die Stadt Bad Doberan sich dem aufwendigen, jedoch lohnenswerten Bewerbungsverfahren zu stellen. Das Bundesland Mecklenburg-Vorpommern hat das Bad Doberaner Münster bei der Kultusministerkonferenz eingereicht. Wie das Bewerbungsverfahren jetzt weitergeht liegt in deren Hand.

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