Moderne Kunst in Stuttgart zwischen alten Traditionen
von Friederike Reth
Dass zu Stuttgart mehr gehört als Spätzle, Maultaschen, Kehrwoche und Daimler, halten immer noch viele für ein Gerücht. Doch die Kesselstadt wird unterschätzt. Die Weißenhofsiedlung beispielsweise, galt lange Zeit als bedeutendstes Beispiel für modernes Bauen. Der Stuttgarter Fernsehturm mit seinem charakteristischen Korb war der erste seiner Art und damit richtungsweisend für alle nachfolgenden Turmbauten. Auch Kunstbegeisterte kommen in der reichhaltigen Museumslandschaft der Stadt auf ihre Kosten.
1927 beherrschte ein Thema die lokalen Zeitungen: der Bau der Weißenhofsiedlung. In nur 21 Wochen wurden hier 21 Häuser mit insgesamt 63 Wohnungen errichtet. Beteiligte Architekten waren unter anderem Walter Gropius, Bruno und Max Taut, Hans Scharoun und Le Corbusier. Ludwig Mies van der Rohe leitete das Projekt, das im Rahmen der Bauausstellung „Die Wohnung“ entstand.
Die Siedlung auf dem Killesberg, etwas oberhalb der Stadt, war stark umstritten. „Araberdorf“ wurde sie während des Nationalsozialismus wegen ihrer weißen Terrassen genannt. Der Abriss war bereits geplant. Der Krieg kam dazwischen, man installierte hier Flugabwehrgeschütz, was jedoch zur verstärkten Bombardierung dieser Gegend führte. Während des Krieges wurden einige der Häuser zerstört, andere danach abgerissen oder durch Satteldächer und ähnlich stilferne Elemente verfremdet. Ende der fünfziger Jahre wurden die verbliebenen elf Häuser schließlich unter Denkmalschutz gestellt, in den achtziger Jahren saniert und originalgetreu restauriert. 2006 wurde das Weissenhofmuseum eröffnet.
Einzige Vorgabe, die die Architekten damals erhielten, war das Flachdach als Zeichen der Modernität. Ansonsten waren sie völlig frei in ihren Gestaltungen. Grundgedanke der Einfamilien-, Doppel-, Reihen- und Mehrfamilienhäuser war, dass auch Arbeiter und Angestellte sich Wohneigentum leisten können sollten. Das Wohnen hier sollte preiswert und gut sein, die Räume funktional. Die Häuser waren am Ende schmucklos, ohne jede Ornamentik und auf das Wesentliche konzentriert.
Schwäbische Traditionen und Traditionalisten
Als Antwort auf die Weißenhofsiedlung wurde 1933 in unmittelbarer Nähe die Kochenhofsiedlung erbaut. Die Siedlung wurde explizit als traditionalistisches Gegenmodell zur Weißenhofsiedlung geplant und verfügt somit über 25 Einzelhäuser. Die 23 lokalen Architekten und Architekturbüros mussten sich alle an Richtlinien des Stuttgarter Architekten Schmidthenner und des Stadtplaners Heinz Wetzel halten. Zu den Richtlinien gehörte unter anderem, dass die Häuser zumeist zweigeschossig in schlichter Holzbauweise errichtet werden sollten. Ebenfalls vorgegeben waren die Satteldächer, die die Siedlung bestimmten. Vorbild der Häuser war Goethes Weimarer Gartenhaus aus dem 17. Jahrhundert. Anlass für die schnelle Erbauung der Siedlung innerhalb weniger Monate war die Bauausstellung „Deutsches Holz für Hausbau und Wohnung“
Während des Krieges wurden Teile der Siedlung zerstört, danach durch Gebäude anderer Stilrichtungen erweitert. Heute ist die Siedlung als solche nicht mehr erkennbar.
Der schnelle Bau der beiden Siedlungen bestätigt auch ein Motto, das man den Schwaben gerne unterstellt: „Schaffe, schaffe, Häusle baue“. Und was dürfte bei einem typisch schwäbischen Häusle nicht fehlen? Richtig, die Kehrwoch’. Bereits 1483 wurde diese von Graf Eberhard „im Bart“ eingeführt: „damit die Stadt rein erhalten wird, soll jeder seinen Mist alle Woche hinausführen“.
Viel zu tun hätte man, wollte man die charakteristischen Stuttgarter Stäffele kehren. Ursprünglich dienten die Treppen der besseren Erreichbarkeit der Weinberge bzw. der Verbindung der verschiedenen Weinbergterrassen. Mitte des 19. Jahrhunderts dehnte sich die Stadt aus, verdrängte die nahen Weinberge und wuchs die Hügel hinauf. Die alten Weinbergstaffeln wurden zu Treppen und Fußwegen umfunktioniert und dienten nun als Verbindungswege zu den höher gelegenen Wohngebieten. Einige der mehr als 400 Treppenanlagen im Stadtgebiet wurden zu kunstvollen Architekturstaffeln umgearbeitet, verziert mit Brunnen und Blumenanlagen. Auf die insgesamt rund 20 Kilometer Stäffele geht auch der Spitzname der Stuttgarter zurück: Stäffelesrutscher.
Hoch hinaus kommt man nicht nur mit Hilfe der Stäffele, auch der Stuttgarter Fernsehturm verspricht einen faszinierenden Blick auf die Stadt und bei gutem Wetter auf den Schwarzwald, die Schwäbische Alb und den Odenwald. Ein Aufzug führt bis zur Aussichtsplattform in 152,4 Metern Höhe. Hier kann gegessen, getrunken und gestaunt werden, und hin und wieder auch Kultur getankt. „Theater über den Wolken“ nennt sich das Programm, das gemeinsam von den beiden Schauspielhäusern Altes Schauspielhaus und Theater Rampe organisiert wird. Bei Vollmond locken „Konzerte bei Vollmond“ jazzbegeistertes Publikum auf 144 Meter Höhe. Patrick Siben und das „Saloniker String and Swing Orchestra“ verzaubern die Ohren ihrer Hörer mit Ragtime, Swing, Blues und Latin. Wer es lieber beschaulicher mag, kommt bei Lesungen und anderen Veranstaltungen auf seine Kosten.
Kunstsammlungen und ein ehemaliges Toilettenhäuschen
Bodenständiger präsentiert sich das Stuttgarter Kunstmuseum. Während die Sonderausstellungen im großen Glaskubus mit Blick auf den Schlossplatz präsentiert werden, findet man den größten Teil des Museums in stillgelegten Tunnelröhren. Denn das Museum steht dort, wo früher ein Seitenarm der Bundesstraße 27 direkt in die Innenstadt führte. Auf insgesamt 5000 Quadratmetern Ausstellungsfläche ist nicht nur eine große Sammlung von Werken von Otto Dix zu besichtigen, auch Werke von Willi Baumeister, Adolf Hölzel, Dieter Roth, Dieter Krieg und Rebecca Horn sind hier ausgestellt.
1843 wurde die Alte Staatsgalerie eröffnet und 1984 und einen Neubau ergänzt. Seitdem gehören die Alte und Neue Staatsgalerie zu den führenden europäischen Museen. Sie beherbergen nicht nur Kunst vom 14. Jahrhundert bis in die Moderne, von Künstlern wie Lucas Cranach d.Ä., Rubens, Canaletto, Renoir, Picasso und Beuys. Die Neue Staatsgalerie, geplant vom britischen Architekten Sir James Stirling, gilt auch selbst als eines der bedeutendsten Werke der postmodernen Architektur in Deutschland.
Während er in Berlin 2008 dem Erdboden gleich gemacht wurde, steht der Palast der Republik in Stuttgart noch immer. Zugegeben, kleiner ist er, und hat außer dem Namen auch nichts mit dem ehemaligen Sitz der Volkskammer in Ost-Berlin gemein. Aus einem ehemaligen Toilettenhäuschen wurde unweit der Königstraße eine kleine gemütliche Kneipe. Nichts erinnert mehr an die Vornutzung. Besonders im Sommer ist der Bürgersteig um das vollkommen verglaste Achteck gefüllt mit feierfreudigen Schwaben.
Aktuelle Kulturreisen nach Baden-Württemberg:
Die Moderne in Stuttgart: Private Kunstsammlungen und Architekturschätze